Von der Moderne aus gesehen

■ Grandioses Nomos-Quartetts im Philharmonischen Kammerkonzert

Das gute alte Streichquartett, die bürgerliche Gattung schlechthin, ist wie kaum eine andere gerade in der zeitgenössischen Musik frisch und aktuell geblieben. In den siebziger und achtziger Jahren wurden auffällig viele Streichquartette komponiert, unter anderem mit Luigi Nonos „Fragmente – Stille, an Diotima“auch eines der wichtigsten und folgenreichsten Stücke in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts überhaupt.

Das seit 1983 immer erfolgreicher zusammenspielende Nomos-Quartett aus Hannover kümmert sich beispielhaft um zeitgenössische Musik insofern, als es immer wieder klassische Musik mit neuer konfrontiert. Und wie sehr die Kompetenz für die Interpretation Neuer Musik auf die der alten abfärbt, war jetzt zu erleben bei den Philharmoni-schen Kammerkonzerten.

Schon im Streichquartett in a-Moll von Franz Schubert bestach die Konzentration auf Struktur und Klangfarbe, meisterhaft die vollkommen unterschiedlichen Tonfälle für die unterschiedli-chen Satzcharaktere. Überzeugend die Herausarbeitungder Mittelstimmen, die kaum merkbaren Verzögerungen beim Eintauchen in die immer noch und immer wieder erstaunlichen Harmoniewechsel.

Trotzdem wirkte Schubert eine Spur zu kalkuliert, zu vorsichtig. Daß das Absicht war, um das musikalische Suchen und Tasten dieses Komponisten, sein aussichtsloses Kreisen bis hin zur fragmentarischen Komposition deutlich zu charakterisieren, zeigte sich an der Wiedergabe von Leos Janceks autobiographischem erstem Streichquartett. Denn die ließ an emotionaler Wucht, an seelischem Tumult, an innerlichem Chaos keine Wünsche offen: Tolstois Ehedrama „Kreutzersonate“ist die Vorlage. Martin Dehning, Sonia-Maria Marks, Friederike Koch und Sabine Pfeiffer gelingt ein grandioses Miteinander von vier virtuosen und explosiven Partien.

Mendelssohns Streichquartette, die wohl wichtigsten Gattungsbelege zwischen Schubert und Brahms, gleichwohl in gängigen Konzertführern als „Gruß an Beethoven“abqualifiziert und verkannt, führen eher ein Schattenda-sein im Konzertleben. Wie falsch das ist, machte die fulminante Wiedergabe der Hannoveraner deutlich: Die Elegie auf den Tod der geliebten Schwester Fanny, das Streichquartett f-Moll, op. 80, ist ein erschütterndes Dokument musikalisch ausgedrückter Verzweiflung und Trauer, dokumentiert gleichzeitig formal eine grandiose Auseinandersetzung mit dem späten Beethoven, die in nachfolgenden Zeiten erst Schönberg und Bartók wieder wagten.

Ute Schalz-Laurenze