: Arbeitslose wollen Proteste fortsetzen
■ Enttäuschung über Jospins Zusagen. Der Premier verspricht sich von der 35-Stunden-Woche mehrere hunderttausend neue Arbeitsplätze
Berlin (taz) – Trotz neuer Zugeständnisse von Premierminister Lionel Jospin wollen die Arbeitslosen in Frankreich ihre Proteste fortsetzen. Die Arbeitslosenverbände riefen gestern in Paris zu neuen landesweiten Kundgebungen für den kommenden Dienstag auf. An diesem Tag soll in der Nationalversammlung das Rahmengesetz über die 35-Stunden-Woche eingebracht werden, mit dem die Linksregierung die Arbeitslosigkeit bekämpfen will.
Von den neuen Zusagen des Regierungschefs zeigten sich die Arbeitslosen-Initiativen enttäuscht. Jospin hatte am Mittwoch abend im französischen Fernsehen unter anderem angekündigt, die Sozialhilfe an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzugleichen. Die Hauptforderung der Arbeitslosen nach einer deutlichen Erhöhung der Sozialhilfe lehnte er aber mit Hinweis auf die hohen Kosten ab.
Die Arbeitslosenverbände verlangen eine allgemeine Erhöhung der Sozialhilfe um 1.500 Franc (knapp 450 Mark) pro Monat und einen Sozialhilfeanspruch auch für junge Leute unter 25 Jahren. Jospin dagegen betonte, daß die Erfüllung dieser Forderungen Mehrkosten für den Staat in Höhe von 70 Milliarden Franc (21 Milliarden Mark) bedeuten würden. Hauptziel der Regierung bleibe es aber, „das Geld in die Beschäftigung und nicht in die Unterstützung zu stecken“.
Zugleich kündigte der sozialistische Ministerpräsident an, die Zahlungen für Langzeitarbeitslose aufzustocken, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr haben. Dies gelte insbesondere für junge Menschen. Die Solidaritätsbeihilfe ASS (Allocation de solidarité spécifique) wurde seit 1994 nicht mehr erhöht. Zum Umfang dieser Leistungen äußerte sich Jospin allerdings nicht. Nach Angaben von Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn schlägt die Neubewertung der ASS mit 600 Millionen Franc zu Buche. Die Regierung hatte den Arbeitslosen schon Hilfen in Höhe von 1,5 Milliarden Franc zugesagt.
Bei der Reduzierung der Arbeitslosigkeit hat die Regierung nach den Worten Lionel Jospins bereits erste Erfolge erzielt. Von der Reduzierung der Wochenarbeitszeit von derzeit 39 auf 35 Stunden bis zum Jahr 2000 erhofft sie sich mehrere hunderttausend weitere Arbeitsplätze. Einer gestern in der Tageszeitung Le Monde veröffentlichten Studie des Wirtschaftsinstituts OFCE zufolge würde die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden mehr als 450.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Als Folge des erwarteten Wirtschaftswachstums rechnet Premierminister Jospin für das Jahr 1998 mit 200.000 neuen Arbeitsplätzen in der freien Wirtschaft. 150.000 Jobs zusätzlich schaffe die Regierung für erwerbslose Jugendliche. su
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen