: Präsident Jekyll und Mr. Hyde
■ Janusköpfige Präsidenten haben in den USA Tradition. Die Galerie schmücken Kennedy, Johnson, Nixon, Reagan und Bush. Jetzt hat auch Bill Clinton gute Chancen, in die Reihe aufgenommen zu werden
Amerikanische Präsidenten sind janusköpfig, das weiß man seit Nixon und seit den Enthüllungen über John F. Kennedy. Amerikanische Präsidenten sind wie die Doppelgestalt aus Robert Louis Stevensons Roman „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, in der sich ein wohlanständiger, hochgeachteter Wissenschaftler periodisch und unberechenbar in eine monströse Mördergestalt verwandelt. In seinem Film „Der Werwolf im Weißen Haus“ griff Milton Moses Ginsberg dieses Motiv 1973 auf. Nachts heulte bei Vollmond im Weißen Haus eine blutrünstige Bestie. Der Werwolf war auf Richard Nixon gemünzt, dem nach außen hin erfolgreichen Präsidenten, der die Isolation Chinas beendete, eine Entspannungspolitik mit der Sowjetunion anstrebte, den Vietnamkrieg beendete und unter dessen Regierung Amerikas Wirtschaft boomte. Nixon aber war auch ein Trickbetrüger und der Kopf einer im Weißen Haus residierenden mafiosen Bande, die weder Gesetz noch Recht achtete, um ihre Macht zu erhalten, und die in den letzten Monaten der Amtszeit des Präsidenten mit dem Verwischen von Spuren beschäftigt war. Auch sein Vorgänger Lyndon B. Johnson war eine Doppelgestalt. Einerseits der Erbe Roosevelts, der in der Ausgestaltung des amerikanischen Sozialstaates noch weiter ging als sein Vorbild, der ein Herz für die Armen hatte und ohne dessen politisches Geschick niemals die Bürgerrechtsgesetze verabschiedet worden wären. Doch er war es, der den Vietnamkrieg der USA ständig ausweitete. Rückblickend beschreibt er selbst seine Leistungen: „Ich habe meine große Geliebte, die soziale Gesellschaft, für die Hure Vietnam hingegeben.“
Auch Reagan war eine Doppelgestalt. Der utopische Visionär („Star Wars“), dessen Politik zum Niedergang des Sowjetimperiums beitrug. Auf der anderen Seite führte er einen schmutzigen Kleinkrieg in Mittelamerika und verstrickte sich in die schändliche Iran-Contra-Affäre, bei der dem terroristischen Iran heimlich Waffen verkauft wurden. Nicht anders George Bush. Dieser galt als brillanter Außenpolitiker, der im Golfkrieg eine zunächst unmöglich erscheinende Koalition zustande brachte, auf die letztlich der Nahost-Friedensprozeß zurückgeht. Andererseits geriet unter seiner Regierung die amerikanische Wirtschaft in eine tiefe Rezession, und die Armut im Lande wuchs.
Die amerikanische Öffentlichkeit ist oft bereit, ihren Präsidenten deren Mr.-Hyde-Seite zu verzeihen. Kennedy ist durch die Enthüllung seiner Affären, die ihn sogar mit der Mafia verbanden, nicht weniger populär geworden. Nixon zollt man posthum – wenn auch widerwillige – Bewunderung. Reagan gilt als bedeutendster Präsident der Nachkriegszeit, auch wenn jedermann weiß, daß er von Politik so gut wie nichts verstanden hat.
Und auch Clinton hat die Nation seine Frauenaffären bisher nachgesehen. Die wirtschaftliche Lage ist ausgezeichnet, den meisten Amerikanern geht es besser als zuvor, und das Sexualleben eines Präsidenten ist seine Privatsache. Doch manchen Präsidenten holt Mr. Hyde ein. Johnson trat für eine zweite Amtsperiode erst gar nicht an, Nixon kam seiner Amtsenthebung durch Rücktritt zuvor, und Clinton könnte durchaus über diese letzte Affäre stürzen und am Ende sogar im Gefängnis landen.
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