piwik no script img

Blätter fegen für Monopoly-Blüten

Dieter Schinzel war einst ganz oben in der SPD. Dann ging er pleite. Heute fegt er Laub  ■ Von Bernd Müllender

Dieter Schinzel hat viel Zeit in diesen Tagen. Fast jeden Sonntag steht er am Spielfeldrand Aachener Bolzplätze und fummelt auf typische Weise seine fusseligen Haare zurecht. Schinzel beobachtet seinen siebenjährigen Sohn Boris beim Fußballspielen im Aschematsch. Boris ist immerhin Torschützenkönig in der F-Jugend des Sportvereins Hörn und gilt als Star im Team der Minis.

Vater Schinzel war einmal selbst der große Star, ein Politmagier in Aachen: äußerst umtriebig, wichtig und ziemlich mächtig, eine reichlich schillernde und omnipräsente Figur.

Ein Jahrzehnt sozialdemokratischer Chef der Stadt und Ratsherr, davor mit 22 Vorsitzender des Allgemeinen Studentenausschusses, Bundestagstagsabgeordneter mit 28, jahrelang Europaparlamentarier, politischer Überflieger, nimmermüder Oberaktivist, Macher und Hansdampf in allen Gassen.

Federführend war der Arafat- Spezi etwa in der deutsch-arabischen Gesellschaft und regelmäßig im Nahen Osten unterwegs, kameraumlagert in diplomatischer Mission mit dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, noch kurz vor dem Golfkrieg.

Jetzt trägt der 53jährige Besen statt Verantwortung: Schinzel fegt in einem Behindertenheim den Dreck zusammen. Laubfegearbeiten eines gnadenlos Gescheiterten. Dieter Schinzel, Diplom-Physiker und im Zivilberuf früher Leiter des Aachener Studentenwerks, hatte einst satte Einkünfte. Aber das war offenbar nicht sättigend genug.

Anfang der neunziger Jahre liefen seine Geschäfte mannigfaltigster Art deutlich schlechter als seine Ausreden über Zahlungsmodalitäten von Rechnungen. Oft wurde der stets ausgesucht jugendlich wirkende Mann mit seiner typischen linksgescheitelten Beatle- Frisur als unermüdlicher Zocker ohne Fortune in Spielcasinos gesehen.

Grundstücksspekulationen gingen auch noch daneben. Die Schulden wuchsen auf mindestens sieben Millionen Mark. Es folgte, alles minutiös von der Lokalpresse protokolliert, ein Dauer-Absurdum an Gerichtsterminen, falschen Zahlungsversprechungen, Verhandlungen und Zwangsversteigerungen, Austauschpfändungsdrohungen und Konkursverschleppungstaktiken, Haftbefehlandrohungen, gefaxten Krankmeldungen aus dem Ausland, gefaketem Sonstwas und viel anderem Realkabarett.

Das hat ein Ende. Schinzel ist mittlerweile anerkannt pleite. Gläubiger werden mit 15 Prozent zufrieden sein müssen. Vor vier Jahren sollte alles gut werden. Sehr gut sogar. Schinzel beteiligte sich (die Details wurden nie mehr geklärt) an einem kuriosen Zehn- Millionen-Schweizer-Franken- Schwarzgelddeal mit einem „polnisch-serbischen Mafia-Quartett“, einer „filmreifen Odyssee quer durch das Unterweltmilieu“ (Lokalpresse).

Als Kunden hatte man sich dummerweise zwei V-Leute des Bundeskriminalamtes ausgesucht. In Aschaffenburg wurde zugegriffen, und Schinzel kam trotz Diplomatenpaß in Untersuchungshaft. Die Blüten, hieß es, hätte jeder Farbkopierer besser hinbekommen. Von „Monopoly-Geld“ war fortan die Rede.

Alles mißverständlich, sagte Schinzel, und beklagte einen Justizskandal. Sein Halbbruder, der Barde Christian Anders (Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“) kettete sich aus Protest nackt an die Gefängnismauern: „Ein Komplott! Wenn mein Bruder ein Krimineller ist, gehört Helmut Kohl auch ins Gefängnis, denn der hat Deutschland an die Banken verkauft.“

Mehrere Prozeßanläufe scheiterten. Dem Freigänger (er mußte sich wöchentlich bei der Aachener Polizei melden) drohten fünf Jahre Haft. Dann wurde das Verfahren im vergangenen Oktober sehr überraschend eingestellt. Schinzel muß, zwei Tage die Woche, insgesamt 150 Stunden Sozialdienst leisten.

Blätter fegen für die Blüten. Er helfe auch in der Werkstatt, sagt der Leiter des Behindertenheimes, werde vom Hausmeister penibel kontrolliert und mache sich sehr gut. „Er hat keine Berührungsängste mit unseren Bewohnern.“

Die Aachener Zeitung nennt Schinzel den „Hilfs-Handwerker auf Zeit“. Christian Anders lebt in den Vereinigten Staaten. Sein Beruf: Guru.

Neulich war er zu Besuch in Aachen. Da sah man ihn, mittlerweile auffällig weißgewandet mit wallendem Haar, mit seinem Bruder Politstar Seit an Seit durch die Aachener Innenstadt schweben, beide innig und sehr wichtig handyfonierend.

Kaum meinte man, die beiden telefonierten miteinander wie Derrick und sein Harry im Werbespot, hörte einer auf, und der andere quatschte weiter.

Oder hatten sie sich nur gegenseitig etwas auf die Mailbox gequatscht? Von neuen sensationellen Geschäften im Iran, im Irak? Vom Zug im Irgendwo? Von blütenweißen Westen?

Derzeit ist Dieter Schinzel nicht mehr zu erreichen. Alle Nummern abgemeldet, gesperrt. 8.000 Mark schuldet er allein der Telekom.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen