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Schöner Kranksein

■ Der Kampf um die Patienten wird nach der Gesundheitsreform härter: Krankenhäuser setzen auf Design, schicke Kunstcafeten und Freundlichkeitskurse fürs Personal

eehofer fördert die Kunst. Das heißt: In Wahrheit fördert der Bundesgesundheitsmini-ster natürlich nicht die Kunst – wie käme er dazu? – sondern die Konkurrenz. Und zwar diejenige zwischen den Krankenhäusern. Am Ende kommt Kunst dabei heraus.

Aber fangen wir vorne an, also bei den neuen Abrechnungsmodi und sinkenden „Verweildauern“in unseren Krankenhäusern. Früher vereinbarten diese mit den Kassen individuelle Tagessätze. Hohe Personalleistungen oder geringe Bettenbelegung konnten durch einen üppigen Tagessatz aufgefangen werden. Und wenn trotzdem rote Zahlen geschrieben wurden, sprang der Staat ein und rettete mit einem kleinen Nachschlag. Gesundheit war Menschenrecht, jenseits von Bilanzen.

Heute ist sie ein betriebswirtschaftlicher Faktor. Es gibt für alles feste, einheitliche Sätze: ein Blinddarm ist ein Blinddarm, ein Geschwür ein Geschwür. Komplikationen ausgeschlossen. Diese „leistungsbezogenen“Gebühren machen immerhin etwa ein Drittel des Krankenhausetats aus. Da ist es für jedes Krankenhaus überlebenswichtig, an möglichst viele Blinddärme und Geschwüre heranzukommen. Die leistungshonorierenden Verrechnungsmodi nagen natürlich an der durchschnittlichen Durchlaufdauer. Die sank von 14 auf neun Tage pro Patient. US-Amerikaner legen sich sogar nur 4,5 Tage ins Krankenhausbett.

Manchmal bleiben die Nachtlager ganz leer. Bis 1993 durfte nur in Praxen ambulant operiert werden. Heute bekriegen – nicht immer, aber immer öfter – auch Krankenhäuser einen Leistenbruch oder Krampfadern binnen eines Tages – für ungefähr 600 bis 1.000 Mark.

Der Patient wird zur Mangelware – und ist entsprechend umkämpft. Längst ist er nicht mehr das nervige Häufchen Elend, das den starken Armen der Krankenschwestern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, sondern König Kunde. Da der gemeine Mensch die medizinische Qualität der Ärzteschaft kaum beurteilen kann, wird er geködert durch Corporate Design, Atmosphäre – und Essen.

Postmoderne Palastportale begrüßen ihn als V.I.P. Verschönerte Cafeterien speisen ihn nicht mehr – nur – ab. Das St.-Josephs-Stift leistete sich vor etwa fünf Jahren ein Patientencafé, vor drei Jahren einen neuen Eingangsbereich und im Herbst 1997 ein Corporate Design.

Das Zentralkrankenhaus Ost rüstete vor fünf Jahren auf mit einer schöneren Cafeteria, vor drei Jahren mit einer neuen Eingangshalle und Telefonapparaten an jedem Bett. Zur Bekämpfung eines kühlen Krankenhausklimas „wurde verstärkt Kunst eingeschaltet“. Auch das St.-Jürgen-Krankenhaus wappnete sich im Herbst 97 mit einem Corporate Design. Außerdem feilte es an der Übersichtlichkeit der Beschilderung und sanierte einzelne Stationen. Die Evangelische Diakonissenanstalt legte sich im Herbst 1997 eine Patientencafeteria zu und verändert noch dieses Jahr die Eingangssituation. Das Rotes-Kreuz-Krankenhaus nützt seine attraktive Lage am Wasser und öffnete jetzt die Pforten seines „Cafe K“nicht nur für Patienten, sondern auch für das gesunde Volk.

Ob die Grenzüberschreitung zwischen Pantoffel- und Straßenschuhträgern gelingt? Pflegedienstchefin Alke meint, in ihrer alten Heimat Nordrhein-Westfalen seien die Gesunden regelrecht neugierig auf die Krankenhausatmosphäre. Eine Folgeerscheinung prickelnder TV-Ärzte-Soaps?

Im Zentralkrankenhaus Ost bietet die Cafeteria ein Frühstücksbuffet. Patienten sind nicht mehr den 5-Uhr-Tablettlieferungen des Pflegepersonals ausgeliefert, sondern emanzipieren sich zu Entscheidungsträger in Fragen Appel oder Ei. Außerdem könnte man an der Theke jemand Nettes kennenlernen.

Nettigkeit ist auch für das Personal erste Pflicht. Im St.-Jürgen-Krankenhaus sitzen Mitarbeiter in Supervisions-Gesprächskreisen. Das Pflegepersonal kann dabei lernen, mit der täglichen Präsenz von Eiter, Blut, Leid umzugehen, ohne abzustumpfen, die Ärzteschaft hat die Gelegenheit, ihren ansozialisierten Standesdünkel zu hinterfragen. Alles natürlich auch zur Erleichterung des Patientendaseins.

Das Zentralkrankenhaus Ost leistet sich Kunst nicht nur zu Deko-Zwecken, sondern überflutet unsere Redaktion Woche für Woche mit Einladungen zu Lesungen, Konzerten, Ausstellungen in kulturzentrum-artigen Ausmaßen. Da steckt Engagement dahinter. Im Café K dagegen hat Kunst die klassisch-imagestärkende Funktion wie in Banken oder Versicherungen. Ihr wahrer Schöpfer heißt Seehofer. bk

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