Brillante Huang, fast perfekter Blomstedt

■ NDR-Sinfonieorchester unter Herbert Blomstedt spielte Beethoven und Mozart

Zu den großen Dirigenten der Vergangenheit zählen heute vor allem die, die ohne ausdrückliche Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis bis heute gültige Interpretationen geliefert haben, weil sie etwas vom Geist des Werkes und des Komponisten trafen. In bezug auf Beethoven zählen dazu vor allem Arturo Toscanini, Hermann Scherchen, Fritz Reiner und als einer der wichtigsten der Franzose René Leibowitz. Mit Rudolf Kolischs maßgeblichen Untersuchungen über die Tempi bei Beethoven und Leibowitz' praktischen Ausführungen erklang zum Beispiel die dritte Sinfonie, die berühmte und bis heute in ihrer politischen wie ästhetischen Bedeutung rätselhafte „Eroica“(1802-1804) in einem unerhört plebejischen Geist. Wie ein Sturmwind, der zumeist zugunsten pathetischer Emotionalität mit ständigen Tempowechseln regelrecht verloren gegangen war, rauschte sie von der vergangenen Revolution daher.

Herbert Blomstedt mit dem NDR-Sinfonieorchester klinkte sich nun mit großer Spannung in diesen stürmischen Weg ein. Streng führte er die so wichtigen Tempi durch, führte sorgfältig und stringent die kompositorische Konstruktion vor und erreichte so eine hohe Expression, achtete auf Transparenz, Phrasierung und Artikulation. Gelegentlich neigte er mit dem virtuos folgenden Orchester zu einer wilden Forcierung, erzeugte so eine Art Überdruck, der bisweilen zu einem inneren Spannungsverlust führte. Diese raren Momente gingen auf Kosten der kammermusikalischen Feinarbeit, die dann und wann etwas zu wünschen übrig ließ. Sie erst hätte die im ausverkauften Saal begeistert aufgenommene Wiedergabe nahezu perfekt gemacht.

Es ergänzte sich wunderbar dazu, daß die sechzehnjährige chinesisch-amerikanische Pianistin Helen Huang Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 467 mit einer Leichtigkeit ohnegleichen spielte, intelligent phrasierend und durchaus pfiffig modellierend, immer wieder offen für überraschenden Abläufe.

Zahllose brillante Einfälle integrierte sie in ein Werk, daß 1785 komponiert wurde un daher zu Mozarts kurzen und erfolgreichen Zeit in Wien gehört. Wie viel problematischen, aufgesetzten Ansatz hört man häufig bei jugendlichen Spielern, weil sie trotz flinker Technik ihre Stücke geistig nicht füllen können, weil sie viel zu früh auf viel zu große Podien und in langfristige CD-Verträge gehetzt werden. Nicht so bei Helen Huang, deren ebenso leichtes wie im richtigen Augenblick kräftig akzentuiertes Perlen ihr alles zu erlauben schien: ein empfindliches Cantabile ohne jede Sentimentalität im ersten Satz, eine lächelnde, doppeldeutige Melancholie im langsamen Satz. Begeisternd ihr Hineingleiten in die wiedergefundenen Themen mit einem solchen Minimum an Verzögerungen, daß es einem den Atem verschlug. Blomstedt begleitete höchst einfühlsam, nahm ihre Impulse mehr auf als daß er ihr welche vorgab: da mußte die junge Frau sich wohlfühlen. Eine Riesenbegabung, diese Helen Huang, der man gerne wieder begegnen und deren Weg man verfolgen möchte.

Ute Schalz-Laurenze