: „Wir möchten ein internationales Protektorat“
■ Ibrahim Rugova, seit 1992 Präsident der Albaner des Kosovo, äußert sich zu bewaffneten Aktionen, der Ungeduld der jungen Leute und seinen Erwartungen an die internationale Gemeinschaft
taz: Im Kosovo zögern die serbischen Sicherheitskräfte nicht mit Gewaltanwendung, und unter den Albanern macht sich militante Stimmung breit. Wie reagieren Sie darauf?
Ibrahim Rugova: Es gibt eine große Frustration in der Bevölkerung, die Aktivitäten der serbischen Sicherheitskräfte haben ein gefährliches Stadium erreicht. Die Ereignisse in Drenica lassen bei den Menschen Erinnerungen aufkommen, denn diese Region wurde von der serbischen Seite immer wieder in besonderer Weise unterdrückt. Wir alle, auch die internationalen Mächte, sind sich darüber im klaren darüber, daß es so nicht mehr weitergehen kann.
Viele Leute sind nicht mehr zufrieden mit Ihrer Strategie des friedlichen Widerstands. Wie beurteilen Sie die „Befreiungsarmee“ UCK?
Sicherlich verlieren viele junge Leute die Geduld. Das ist ihr Recht. Doch sie übersehen die grundsätzliche politische Konstellation. Wir dürfen uns nicht in Abenteuer stürzen. Was die angesprochene Formation betrifft, könnte es sein, daß sie von serbischen Geheimdiensten gesteuert wird – die haben auch albanisch sprechende Leute. Ziel könnte die Vorbereitung einer größeren Intervention sein. Die Konsequenzen wären ein fürchterliches Blutbad.
Die serbische Opposition schlägt die Teilung Kosovos vor.
Das ist unannehmbar. Sie wollen jene Gebiete, die reich sind an Mineralien, sie sind interessiert an den größten Kupferminen Europas, an den 15 Milliarden Tonnen Kohle, an dem Erdöl, das hier vermutet wird. Da es keine Gebiete mit serbischen Bevölkerungsmehrheiten gibt, bedeutet dieser Vorschlag Vertreibung und ethnische Säuberungen. Schon jetzt sind die hier lebenden Kroaten und Bosniaken weggegangen.
Können Sie mit internationaler Unterstützung rechnen?
Die USA und die EU wissen sehr genau über die Zustände Bescheid. Wir hoffen, daß dieses Wissen auch konkret umgesetzt wird. Kosovo war ein Teil der Föderation Jugoslawien, die existiert nicht mehr. Wir wollen einen unabhängigen Staat, ein demokratisches Kosovo, in dem auch die hier lebenden Serben gleichberechtigt sein werden.
Sind Sie nicht zu optimistisch, was das Verhalten der internationale Gemeinschaft angeht?
Die internationale Gemeinschaft kann dafür sorgen, daß es zu keiner Eskalation kommt. Dazu könnte eine größere internationale Präsenz beitragen. Am liebsten wäre uns für eine Übergangszeit die Errichtung eines internationalen Protektorats. Interview: Erich Rathfelder
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