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Schlammlurche & Schwarzschwänze

■ JUST BE : „Belice im Männerland“, eine „wahre Geschichte“von Dorothea Dieckmann

Schon oft hat es der Literatur gutgetan, einen bewährten Stoff neu zu bearbeiten. Christa Wolf schrieb nie wieder so gut wie in ihrer Erzählung Kassandra und Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt ist auch fast zehn Jahre nach seinem Erscheinen noch immer in wacher Erinnerung – und das völlig zu Recht. Nun hat die Hamburger Autorin Dorothea Dieckmann mit Belice im Männerland ihr jüngstes Buch vorgelegt. Mit ihrer sogenannten Schmähschrift Unter Müttern wurde sie vor ein paar Jahren überregional bekannt, und mit ihrer Erzählung Die schwere und die leichte Liebe hat sie sich zuletzt als eine bemerkenswerte Prosaautorin erwiesen.

Auch Dorothea Dieckmann schreibt einen allseits bekannten Stoff neu, nur keinen antiken, sondern Lewis Carrolls Alice im Wunderland. Wo ihre berühmten Vorläufer in Schwebezustände geraten und stets einige Zentimeter über unseren Köpfen zu bleiben versuchen, zielt Dorothea Dieckmann unmittelbar unter die Gürtellinie. Jenseits von aller politischen und ästhetischen Korrektheit entfaltet sich ihre über weite Strecken brilliant geschriebene Prosa, und wie nebenher entstehen dabei überdrehte Porträts unserer großen Städte: „Den größten Eindruck machten Belice jedoch die riesigen Plakate an den Fassaden, vor allem die Parfümreklamen mit den schönen Männern und Frauen darauf und daß auf vielen der Name ,Klein' stand. Das war, als hätte man dabei an sie gedacht. Sie versuchte, sich die wunderbaren Namen zu merken, OBSESSION und ESCAPE, als sie plötzlich ihre eigene Marke entdeckte ...: JUST BE!“

Belices Abenteuer beginnen plötzlich. Am Ende von Lewis Carrolls Meisterwerk gerät Alices Schwester ins Träumen, und ihre Geschichte, die Dorothea Dierckmann erzählt, ist nicht minder skurril als das Vorbild. Sie glänzt durch eine wahre Überfülle an überraschenden Einfällen, Wortspielen und Gestalten. Aber Belices Traum wirkt bedrohlicher als der ihrer prominenten Schwester. Sie sucht kein „Weißes Kaninchen“, sondern stürzt schon zu Beginn ihrer Jagd nach dem „Schwarzen Mann“durch einen Schacht: „Belice mußte an die Höhlen der finsteren Tiergestalten aus den Nachmittagsserien im Kinderfernsehen denken. Gruselmolche, Schlammlurche, Olme und Riesenechsen konnten jeden Moment hervorschießen.“

Und als sie dann die erste Station ihrer Reise doch noch körperlich unversehrt erreicht hat, scheint sich alles verändert zu haben. Plötzlich ist sie kein Kind mehr. Ihre Tante Ellinor erweist sich als geile Tunte, die zuweilen auch auf junge Mädchen steht. Und im folgenden gerät Belice mit außergewöhnlicher Treffsicherheit von einem Himmelhund an den anderen.

Dorothea Dieckmann hat ein im besten Sinne humorvolles Buch über die Pubertät geschrieben, über jenen Lebensabschnitt, der den meisten rückblickend so unverständlich wie kaum ein anderer ist. Belice weiß am Anfang ihrer Reise über die Männer so gut wie nichts. Sie merkt nur, daß alle Normalen um sie herum plötzlich verrückt spielen. Es ist ein alter Hut: Die Liebe ist auch in unserer durchrationalisierten Gesellschaft eine der wenigen Möglichkeiten, das strenge Korsett der Vernunft zu sprengen. Beziehungsweise das, was im „Männerland“so für Liebe gehalten wird.

Jan Bürger

Dorothea Dieckmann: „Belice im Männerland“, Berlin Verlag, 1997, 36 Mark

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