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Erotik ohne Grenzen Von Hans Ludwig

Volkstümliche Sprichwörter, wie sie die Kalender von Reformhäusern und Fleischerfachgeschäften auftischen, gehören zum Verlogensten, was diese verlogene Welt zu bieten hat. Ausgerechnet das ranzigste von allen, „Liebe kennt keine Grenzen“, erfährt nun späte Genugtuung. Jahrtausendelang gehörten die Grenzen der Liebe so selbstverständich zum Wesen der Menschheit wie der aufrechte Gang. Standesdünkel, Keuschheitsgürtel, Sexualmoral, Klassengrenzen, Landesgrenzen, Paragraphen, Eltern, Ehepartner, Fernsehen, Eifersucht, Zölibat, Verhütungsfrage – und immer wieder auch die körperlichen Unzulänglichkeiten, egal ob Schüchternheit oder Mundgeruch – standen der Liebe im Weg.

Bis das Internet kam. Grenzenlos gurrt's und turtelt's seither durch die Atmosphäre. Online schnurren Entfernungen, die noch vor wenigen Jahren Herzen brachen, zusammen wie eine Aldi-Tüte im Lagerfeuer, und der Punk aus Lüneburg ist schneller bei irgendeiner Highschool-Tussi in Alabama als ich bei meiner Nachbarin!

Vor allem aber hat die Liebe die Fesseln des Leibes abgestreift. Kein Pickel hemmt mehr das Selbstbewußtsein, auch 17 Kilo Übergewicht bei 15 Zentimeter Unterwuchs sind nicht mehr chancenlos.

Ein Traum ist in Erfüllung gegangen: Liebe und Erotik haben sich von der Tyrannei des Körpers emanzipiert. Man ist frivol bis zum Abwinken, und keinem ist es peinlich.

Lilli an Schnuff: Ich mag's laut, stöhn, quiek, Background: Orff, Carmina Burana, wow.

Der Onlineflirt ist Flirt pur, körper-, problem- und schwerelos. Die erotische Wirkung von Sprachwitz und Schlagfertigkeit wird nicht mehr durch Mickey- Mouse-Stimme, Geheimratsecke oder Orangenhaut in Lächerlichkeit verwandelt. Fette, Dürre, Häßliche, Knollennasige, Leichenblasse, Krebsrote, Glatzköpfe, Problemhaar- und Eigenhaarperückenträger, Pfannkuchengesichter und Markwortkopferte, all die von Mutter Natur Vernachlässigten atmen und leben auf.

Schnuff an Lilli: Liebe im Atlantik, Brandung, Sand, Gras, Schampus – Moét – auf nackter Haut, kribbelnd im Bauchnabel – that's it!

Die Karten sind neu gemischt, jede(r) steht in der gleichen Startreihe. Claudia-Schiffer-Figur, Pamela-Anderson-Titten, Kevin- Kostner-Lächeln haben ausgedient, gefragt ist Esprit. Endlich kommt der elegante Umgang mit der Sprache auch der Libido zugute, endlich widerfährt dem Geistesmenschen Gerechtigkeit.

Lilli an Schnuff: Übr.: Bin übermorgen in deiner Nähe, tierisch gespannt auf dich! Stell schon mal den Schampus kalt! Ciao!

Aus der Traum. Die Pickel sind eitrig und eklig wie seit der Pubertät nicht mehr, der Bauchnabel ist im Fett verschwunden. Nix mit Moét.

Schnuff an Lilli: Superpech. Gerade jetzt kommst du, wo ich dringend nach NY muß!

Schnuff! Wahrscheinlich sieht der Kerl aus wie eine Mischung aus Wigald Boning, Karl Dall und Angela Merkel, oder würde er sonst nächtelang vor dem blöden Monitor sitzen und mit wildfremden Menschen Intimitäten austauschen? Wichser.

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