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Ökonomischer Witz

■ betr.: „Es geht ohne Klaus“ (Re gierungsbildung in Tschechien spaltet die Partei des Ex-Pre miers), taz vom 2.1. 98

Daß Vaclav Klaus als Ministerpräsident wegen dubioser Finanzierung seiner Partei, dem Pendant der deutschen FDP, scheiterte, überrascht nicht, wenn man sich mit seiner umstrittenen Politik befaßt: Die als kompetent und unabhängig geltende Weltbank empfahl, auf den Weiterbau des Atomkraftwerks Temelin zu verzichten, weil er für Tschechien zu teuer sei und es billigere Alternativen gibt. Vaclav Klaus als Ministerpräsident hielt trotzdem am Weiterbau fest. Seine Regierung bestand aus Technokraten, die sich selbst Ökonomen nannten. Die rechtsliberal orientierte Regierung setzte ein Projekt aus der Zeit der kommunistischen Gigantomanie fort und knüpfte damit nahtlos an die Beschlußlage der kommunistischen Parteitage an. Der Weiterbau dieses sozialistischen Prestigeobjektes verschlang so tagtäglich 20 Millionen tschechische Kronen. Vieles lief unsauber: So wurde zum Beispiel weitergebaut, obwohl die Baugenehmigung nur für das alte sowjetische Konzept gültig ist und die Planung von Westinghouse drastische Änderungen beinhaltet und eine neue Baugenehmigung noch nicht einmal beantragt war. Tausende von Unterschriften wurden gesammelt. Viele nach Prag übermittelte Proteste wurden nicht einmal beantwortet. Manchen Aktivisten der samtenen Revolution mißfällt, daß sich diese Regierung gegenüber den Anliegen der Menschen absolut taub stellte. Im Atomkraftwerk (AKW) Temelin kommt der weltgrößte Lieferant für die Ausrüstung atomarer Anlagen, der nordamerikanische Konzern Westinghouse zum Zuge. Dieser ist genau so korruptionserfahren wie der deutsche Siemens-Konzern. Eine Delegation von Hnuti DUHA (Regenbogenbewegung) mit Sitz in Brno (Brünn) reiste in die USA, förderte bei dieser Gelegenheit zu Tage, daß Westinghouse weltweit in zahlreiche Skandale verwickelt ist und in den USA, wo der Konzern rund zwei Drittel aller seine kommerziellen Atomreaktoren gebaut hat, der Konzern seit 1974(!) keinen neuen Bauauftrag mehr bekam. In seiner Unternehmensgeschichte konnten viele Situationen gefunden werden, wo dieser Zuflucht in illegalen Maßnahmen suchte, um Aufträge zu erhalten.

Ceskénertickè zàvody (CEZ) (Tschechische Energiewerke) ist Monopolist mit einem Marktanteil von 90 Prozent und auch Betreiber aller tschechischen Atomkraftwerke. Pikanterie am Rande: War für die Regierung von Vaclav Klaus und seine „Obcanskà Demokratickà Strana“ (ODS) (Bürgerlich Demokratische Partei) der Weiterbau des AKW Temelin etwa so wichtig, weil Livie Klaus, seine Gattin, zeitgleich als Mitglied des Aufsichtsrates bei Ceskè enertickè zàvody (CEZ) agierte?

Dalibor Stràsky, Energieberater beim Umweltbüro CALLA im böhmischen Ceskè Budejovice (Budweis), bezeichnet es als ökonomischen Witz, daß immer mehr Energie für immer weniger Bruttoinlandsprodukt (BIP) eingesetzt wird. Er verweist vor allem auf den steigenden spezifischen Primärenergieverbrauch, der Auskunft gibt, wieviel Primärenergie eine Volkswirtschaft verbraucht, um einen US-Dollar BIP zu produzieren. Dieser liegt in Tschechien um mehr als 300 Prozent höher, als in den Ländern der Europäischen Union. So liegen die geschätzten Einsparpotentiale für Strom zwischen sechs Prozent (CEZ), 30 Prozent (Weltbank) und 52 Prozent (SEVEn, Gesellschaft für Energienutzugn, Prag). Diese großen Chancen wurden von der Prager Regierung jedoch ebenso ignoriert, wie sofort nach der Wende gegen die Fertigstellung des AKW eingereichte 7.000 Unterschriften, die in den Ministerien angeblich „verloren gingen“. Ingenieur Stàsky, der Reaktorsicherheit studiert und fünf Jahre in der tschechischen Atomenergiewirtschaft gearbeitet hat, unterstreicht, daß die vom AKW Temelin erwarteten 1.900 Megawat Strom viel billiger und zeitiger zur Verfügung gestellt werden können. Deshalb sei jeglicher Weiterbau am AKW Temelin eine unverantwortliche Verschwendung von Geld und Ressourcen, die in einem Land, daß sich im Umbruch befindet, besser angelegt werden könnten.

Nach den Parteispendenskandalen der ODS ist es jetzt notwendig, auch das Beziehungsgeflecht Westinghouse zu durchleuchten. Detlef Chrzonsz, Bundesver-

band Christliche Demokraten

gegen Atomkraft, Mainz

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