: Zwischen rot bebojten Brüsten
■ 47 Not- und Brunftgedichte des Worpsweder Seemanns und Poeten Johannes Schenk
Wie groß ist die Seenot? Seenot: ... Der Kapitän hält auf sie zu und nimmt sie. / Die Perlenkette überm Melonenhügel / streift seine Lippen / und der rauhe Bart färbt sich rot. / Morgensonne.- Ostwind fächert das Meer. Not. Die Not ist groß wie die See. Davon weiß Johannes Schenk 47 Lieder zu singen, die just in einem Bändchen bei Donat erschienen sind. Der Worpsweder, 1941 in Berlin geboren, fuhr als Vierzehnjähriger sechs Jahre lang zur See. Er weiß seither, worum es geht: Um Kapitäne, Ankerwinschen, Fischgeruch und eine Dralle in jeder Hafenstadt. Ein Stoff, der sich anbietet, daraus Bilder zu schmieden, tausend Bilder, starke, miserable, großartige und undurchdachte Bilder, dicke Brocken allemal. Den Rhythmus bestimmt das Hämmern der Hormone. Hugh!
Man muß das laut lesen: Die Fülle ihres Leibes, / mit dem sie in den Himmel auffährt, / ihr Hemd, / verdeckt den schiffsgrabentiefen Spalt / zwischen den rot bebojten Brüsten ... Im Kartenhaus riecht es nach Küssen, Fisch, / Ambrosia, Mango. / Da schaukeln die schönsten Früchte der Welt, / verwickeln sein Violettes in Tiefes, / das sie in ihrem Milchleib hat. / Vom Hafen tuten die Dampfer. Dazu ein Kontrabaß und jemand, der ihn bedienen kann, und dann geht die Post ab. Mondsteine werden zurückgebracht, / in die schiefe Flurstraße, / beim Goldenen Anker sollen die verhökert / und altbackenen Damen / zwischen die dicken Brüste gehängt sein. Darauf dann die Küsse der jungen Galane. Sie haben ihr Haar pomadisiert, in der Mitte / gescheitelt, und riechen streng. / Tief tauchen sie ihre pickeligen Nasen / in luftgetrocknete Busentäler.
Man unterscheidet nicht von ungefähr zwischen Dichtern und Denkern. Man soll Gedichte nicht gedankenschwer filetieren, sondern besser laut deklamieren. Was schert's den Dichter, wenn's nicht in den Kopf will. Weil das Violette im Tiefen zwar alles Mögliche anstellt, aber man nicht an „verwickeln“glauben möchte. Oder weil ausgerechnet der „stille Wind“des Kapitäns Bart kräuselt. Ebenso lang wie vergeblich kann man über die „handgestrickte Scheibe Brot“und die „handgehäkelte Witwe“nachdenken. Derweil dampft der Brunftzug weiter, durch rotzige Schnupftücher, vorbei an tollkistigen Mädchen mit milchlippigen Mündern hin zu den teegebeutelten Inseln. Johannes Schenk ist ein brachialer Worteerfinder, auf sein Konto gehen all die tschirrbäumten Hafenhäuser, meergebeutelten Wiesen, hinternbeschürzten Kellnerinnen. Da kennt er nix.
Schenk hat u.a. bei Wagenbach und Rowohlt veröffentlicht und im letzten November eine „Ehrengabe der Schillerstiftung Weimar“entgegennehmen dürfen. Tolerante Leser(innen), die dem Dichter in seine hormongesteuerte Wortgewaltwelt folgen können und wollen, werden die Haltung der Stiftung nachvollziehen können. BuS
Johannes Schenk, Hinterm Meer. Donat Verlag Bremen, 1998, 96 Seiten, 19,80 Mark
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