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Wenn der Gouverneur von Texas sie nicht noch in letzter Minute begnadigt, wird Karla Faye Tucker morgen hingerichtet. Die Chancen auf eine Umwandlung des Todesurteils sind gering. Aber Tucker, Frau und "Wiedergeborene", hat sogar christlich

Wenn der Gouverneur von Texas sie nicht noch in letzter Minute begnadigt, wird Karla Faye Tucker morgen hingerichtet. Die Chancen auf eine Umwandlung des Todesurteils sind gering. Aber Tucker, Frau und „Wiedergeborene“, hat sogar christliche Fundamentalisten auf ihrer Seite

Begnadigung ist eine Glaubensfrage

Wenn heute der Gnadenausschuß des US- Bundesstaates Texas Gouverneur George Bush jr. keine anderslautende Empfehlung gibt, wird morgen früh Karla Faye Tucker mittels Giftspritze hingerichtet. Sie war zusammen mit einem inzwischen verstorbenen Komplizen wegen gemeinschaftlichen Mordes an zwei Menschen 1983 zum Tode verurteilt worden.

Die bevorstehende Hinrichtung einer Frau hat eine Debatte ausgelöst, die über die Grenzen des Bundesstaates und über die üblicherweise am Vorabend von Exekutionen ausgetauschten Pro- und Contra-Argumente hinausgeht. Denn in Texas kollidieren in diesem Fall Glaubenssätze. Texaner schwören auf die Todesstrafe, in keinem Bundesstaat werden so viele vollstreckt wie in Texas. Aber Karla Tucker ist eine Frau, und in Texas gilt „Ritterlichkeit“ als eine erhaltenswerte Tugend.

Mit Karla Faye Tucker würde in Texas die erste Frau seit dem Bürgerkrieg (1861–65) hingerichtet und erst die zweite in den USA überhaupt seit Wiederzulassung der Todesstrafe durch das Oberste Gericht 1976. Schließlich liegt Texas im „Bibelgürtel“ Amerikas, und hier sind Worte wie „Erweckung“, „Umkehr“ und „Wiedergeburt in Christi“ keine leeren Phrasen. Karla Faye Tucker ist eine „wiedergeborene Christin“ und damit – nicht nur nach ihrer eigenen Auffassung – nicht mehr der gleiche Mensch, der 1983 die grausigen Morde beging.

Die 38jährige Frau schmiß nach der 7. Klasse die Schule. Nach eigener Aussage rauchte sie bereits mit 8 Jahren Marihuana, mit 10 spritzte sie Heroin. Mit 13 verließ sie ihre Mutter und begann mit 15 als Prostituierte zu arbeiten. Ihren Komplizen Danny Garrett lernte sie durch den gemeinsamen Arzt kennen, dessen Rezepte ihnen den Zugang zu Drogen erleichterten. Am 13. Juni 1983 verabredeten sich beide, das Haus eines gewissen Jerry Lynn Dean aufzusuchen, dessen Motorrad zu stehlen und den Besitzer umzubringen. Nach Tuckers eigener Aussage hatte sie drei Tage lang nicht geschlafen und war mit Alkohol, Drogen und Amphetaminen vollgepumpt.

Beim Einbruch kam es zu einem Gerangel zwischen ihrem Komplizen Danny Garrett und Jerry Lynn Dean, in dessen Verlauf Karla Faye Tucker eine Spitzhacke ergriff und auf letzteren so lange einschlug, bis der tot war. Anschließend entdeckten beide eine unter einer Decke liegende Gestalt. Das war Deborah Thornton. Karla Faye Tucker holte aus und schlug auch auf sie ein, bis sie tot war. In Kneipen bekamen dann einige Leute mit, wie Karla Faye Tucker sich damit brüstete, beim Zuschlagen einen Orgasmus gehabt zu haben. Sie bestreitet diese Äußerungen nicht, behauptet heute allerdings, daß sie damit aufgeschnitten habe.

Karla Faye Tucker bestreitet weder die Tat noch deren Hergang, macht heute allerdings geltend, daß schon während ihrer Untersuchungshaft ihre „Umkehr“ begann; sie belegte Bibelkurse und machte eine Entziehungskur. Heute würde sie nach eigenem Bekunden gerne gefährdeten Jugendlichen helfen, von den Drogen loszukommen. 1995 heiratete sie einen Mitarbeiter der Gefängnisseelsorge. Heute, so sagt sie, sei sie ein anderer Mensch als das Monstrum, das 1983 die Morde beging. Die Todesstrafe würde mithin an einer falschen Person vollstreckt.

Karla Faye Tuckers Einlassungen hätten wenig Aussicht, Gehör zu finden, richteten sie sich nicht an die texanische Öffentlichkeit. In Texas ist es noch heute üblich, Frauen den Vortritt zu lassen, ihnen die Autotür zu öffnen, ihnen im Restaurant den Stuhl zurechtzurücken. Eine Frau ist zunächst Ma'am (Madame) und nicht Baby oder Honey. In Gegenwart von Frauen spuckt und flucht man nicht und achtet auf seine Worte. Und dann nehmen Texaner die religiöse Bekehrung sehr ernst. Deshalb auch hat sich zu ihrer Begnadigung ein seltsames Bündnis aus Gegnern der Todesstrafe und deren Befürwortern unter der christlichen Rechten formiert.

Die Möglichkeiten einzugreifen sind für den Gouverneur und Sohn des ehemaligen US-Präsidenten beschränkt. Nach dem Gesetz kann er die Todesstrafe nur dann in „lebenslänglich“ umwandeln, wenn der Gnadenausschuß das einstimmig nahelegt. Das hat der in bisher noch keinem Fall getan. Sollte er es wider Erwarten dennoch tun, legt der Gouverneur wie bei jedem Todesurteil zwei Maßstäbe an: Gibt es den geringsten Zweifel an der Schuld des Verurteilten? Hat das Gericht alle juristischen Aspekte berücksichtigt?

George Bush jr. hat außer einer moralisch-ethischen auch eine politisch heikle Entscheidung zu treffen. Der Mann, der Ambitionen auf das Weiße Haus hat, muß die Glaubenssätze und Prinzipien seiner „Landeskinder“ gegen die der ganzen Nation abwägen. Die aber denken, Todesstrafe hin, Begnadigung her, in Sachen gleichberechtigt einfach anders als die Texaner. Mit Anrufen bei Talkshows und durch Leserbriefe bei den großen Zeitungen des Landes machen sie geltend, daß Gnadengesuche nicht das Geschlecht des Delinquenten berücksichtigen dürften. Wenn Bush Karla Tucker begnadigt, könnte dies die pervertierte Gleichberechtigungsdebatte wieder umkehren, die da besagt, daß Gnade für Tucker eine Bevorzugung aufgrund ihres Geschlechts darstelle. Soll heißen: Wenn Bush sie begnadigt, warum dann nicht auch männliche Todeskandidaten... Peter Tautfest, Washington

Governor George Bush:

001-5124631849 (Fax)

Infos über den Fall im Internet:

http// www.abolition-now.com/

cases/kftucker.html

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