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■ Warum immer ein Arzt anwesend sein sollteBier auf Rezept

Denkendorf (taz) – Zum königlich bayerischen Brauchtum gehören nicht nur bayerisches Bier, sondern beispielsweise auch königlich privilegierte Schützengesellschaften. Wer nun glaubt, die Zeit der Privilegien sei auch in Bayern schon vorbei, der irrt. So gelang es der im oberbayerischen Altmühltal beheimateten „Schützengesellschaft 1896 Denkendorf“, sich auf so privilegierte Art und Weise über einen Beschluß des Verwaltungsgerichts Münchens hinwegzusetzen, daß es vor Gericht zum „Bierstreit von Denkendorf“ kam.

Auslöser des jetzt entschiedenen Falles war das 100jährige Gründungsjubiläum der Denkendorfer Schützen im Juli vor zwei Jahren. Nachdem damals an die 80 Vereine aus ganz Bayern ihre Teilnahme an den Feierlichkeiten angekündigt hatten, erwirkte der unmittelbar neben dem Austragungsort wohnende Nachbar Erwin G. in allerletzter Minute noch einen Beschluß des Verwaltungsgerichts München, durch den die gaststättenrechtliche Genehmigung für Sonntag morgen zwischen acht und zehn Uhr außer Kraft gesetzt wurde, mit der Konsequenz, daß weder Speisen serviert noch Getränke ausgeschenkt werden durften. Murrend änderten die Veranstalter ihren Programmablauf. Anstelle des vorgesehenen Weißwurstfrühstücks sprang der Pfarrer ein und hielt, zeitlich vorverlegt, seinen Festgottesdienst im Zelt. Der Organisator und erster Denkendorfer Schützenmeister, Eberhard Händl, setzte auf Zeit und auf die Erfahrung, daß beim Gottesdienst ohnehin „niemand etwas zu sich nimmt“.

Aber Händl hatte die Rechnung ohne die 2.500 durstigen Festgäste gemacht. Die saßen mit ausgetrockneten Kehlen in der sengenden Hitze des durch die Morgensonne aufgeheizten Festzeltes. Selbst die anwesenden Sanitäter rieten dringend zur Ausgabe von Getränken, um gesundheitliche Schäden noch vermeiden zu können.

Und tatsächlich wäre es beinahe zu einem Massenkollaps gekommen, hätte nicht ein die Dramatik der Situation erkennender Humanmediziner aus Warmensteinach in letzter Minute die rettende Idee gehabt, quasi wegen Gefahr im Verzug ein Attest auf Ausschank auszustellen und damit den richterlichen Beschluß außer Kraft zu setzen.

In seinem ärztlichen Gutachten beschreibt Dr. Peter Fülle die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme vom 14. Juli 1996 wie folgt: „Aufgrund der hohen Temperaturen, des massiven Flüssigkeitsverlusts durch Transpiration in Folge Marschierens in Uniform war es am Sonntag den 14.7. 96 aus ärztlicher Sicht dringend geboten, bereits vor 10 Uhr Getränke auszuschenken, um gesundheitliche Schäden bei Festgästen zu vermeiden. Dies um so mehr, als Infusionen zum parenteralen Flüssigkeitsersatz nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung standen.“ Zur Untermauerung dienten zwei weitere, im Tenor ähnliche Atteste.

Nach erteilter ärztlicher Schützenhilfe ordnete Händl bereits kurz nach halb zehn den medizinisch indizierten Ausschank an, schließlich war, wie er betont, „die Gesundheit der Leute wichtiger als der richterliche Beschluß“. Auf die Frage, warum er zu Wasser und anderen alkoholfreien Getränken auch vorzeitig Bier habe ausschenken lassen, erklärt Händl: „Wenn ich mich schon über einen richterlichen Beschluß hinwegsetze, dann gründlich.“

Der um seine Sonntagsruhe gebrachte Anwohner Erwin G. erstattete umgehend Anzeige gegen die Gemeinde, mit der Begründung, es sei ihr nicht gelungen, die Veranstalter zur Einhaltung der erteilten Auflagen anzuhalten. Nun erfuhr er vergangene Woche, daß seine Klage abgewiesen worden ist und er die Kosten des Verfahrens zahlen soll.

Mit Spannung warten nicht nur die Beteiligten auf die noch ausstehende schriftliche Begründung des Urteils, könnte es doch von den richterlichen Ausführungen abhängen, ob mit dem Ausschank- Urteil im „Bierstreit“ von Denkendorf bayernweit ein neuer Präzendenzfall geschaffen wurde. Manuela Knipp-Dengler

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