Revolutionäre Unverbindlichkeit

■ Die erste Sonderausstellung der Galerie der Gegenwart ist Emil Schumacher gewidmet

Den Olymp im Kunstwürfel an der Alster mußten Baselitz, Lüpertz, Polke und Richter räumen und einem künstlerischen Ahnen Platz machen, der gleichwohl noch sehr lebendig ist: Emil Schumacher. Der 85jährige Maler aus Hagen in Westfalen nahm gestern mittag persönlich die Hamburger Retrospektive seiner Bilder in Augenschein. Die erste Sonderausstellung im Oberlichtgeschoß der Galerie der Gegenwart zeigt ein konsequentes Werk aus mehr als sechzig Jahren: Ausgehend von den figürlichen Anfängen um 1936 entwickelt sich über die sanfte Abstraktion der ersten Nachkriegsjahre schließlich das informelle Gemälde, dessen materialbezogener Ausdrucksstärke Schumacher von von 1955 bis heute treu blieb.

In selbst hergestellten Malmitteln zeigen sich die immer intensiven Bilder mal düster mit pastos schrundigem Farbauftrag, mit Verletzungen des Bildkörpers und hinzugefügten Fremdmaterialien wie Holz, Papier und Blei oder sind berauschend in intensiv leuchtenden, schwarzkontrastierten Farben gehalten. Schumacher öffnet mit gestisch-poetischem Gefühlsausdruck den Blick des Betrachters zur freien Assoziation, die durch die wenigen Linien, die in seinen Arbeiten noch Chiffren der Dingwelt formen, kaum begrenzt wird.

Diese Kunst nicht zu mögen, ist ganz unmöglich. Und doch, diese Malerei, deren intensiver Ausdrucksgestus als im Bildfeld eingesperrtes Kreativitätsalibi so gut in die Chefetagen der Banken paßt, ist genau jene Malerei, gegen deren unverbindliche Schönheit die jüngere Generation Ende der sechziger Jahre Sturm lief und mit Pop-, Minimal- und Konzept-Art neue Wege fand.

Sie nun erneut als gegenwärtig zu postulieren, könnte zu den allgemein zu findenden restaurativen Tendenzen passen. Die Qualität dieser Malerei sollte es jedoch einer wiederum neuen Generation ermöglichen, sie heute ohne ideologische Einengung zu sehen. Zudem war es ja auch nicht zuletzt eine seltsame Sprache pathetischer Kunstkritik, die mehr noch als die Kunst selbst vor dreißig Jahren zum Gegner wurde. Die Kontinuität und Veränderung solcher Rezeption beweist der poetisch-kritische Text, den kein Geringerer als der deutsche Meisterdichter Peter Handke dem Katalog beisteuerte.

Vielleicht aber liegen die besonderen, fast schon wieder revolutionären Qualitäten einer materialbetonten Malerei heute aber auch schon darin, daß diese Kunst nicht medialisierbar ist: Die Sensibilisierung für die Ausdrucksfähigkeit der Farben und die Dimensionalität von Rissen und Graten verlangt ausschließlich nach Wahrnehmung am Original.

Hajo Schiff

Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, bis 19. April

Katalog: 164 Seiten, 36 Mark

Ausstellung von Materialcollagen und Tastobjekten Emil Schumachers aus deutschem Sammlerbesitz in der Galerie Chapel Art Center

Eröffnung: heute, 19 Uhr, Bebelallee 153