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Eine kleine Plauderei mit dem olympischen Geist

Der olympische Geist ist ein scheues Wesen. Dennoch ist es uns gelungen, den flüchtigen Gesellen in Nagano ausfindig zu machen, wo er sich gnädigst bereitfand, uns Rede und Antwort zu stehen.

taz: Zunächst einmal, Eure Übersinnliche olympische Exzellenz...

Olympischer Geist: Nennen Sie mich einfach Geist, das reicht...

Wie Sie wünschen. Also, Geist, zunächst einmal möchten wir Ihnen die herzlichen Grüße unserer Leserinnen und...

Ich kenne Ihre Zeitung!

Tatsächlich?

Gewiß! Wann bringen Sie endlich die Börsenkurse?

Ein gutes Stichwort. Uns scheint, daß Olympia in erster Linie ein Synonym für Geschäft geworden ist. Ist das mit Ihnen eigentlich noch vereinbar?

Papperlapapp. Olympia ist viel mehr als Geschäft. Was kann ich dafür, wenn NBC so viel Kohle auf den Tisch legt, bloß weil ihre drei Eishüpferinnen wahrscheinlich alle Medaillen gewinnen. Oder wenn irgendwelche Getränkeproduzenten meinen, ganz Nagano mit ihrem Gesöff überschwemmen zu müssen. Sollen Sie doch.

Die Sache ist doch völlig übertrieben.

Na und? Solange sich Städte finden, die blöd genug sind, sich um diese Chose zu reißen und, so wie hier, 30 Milliarden Mark in eine Infrastruktur stecken, von der sie den größten Teil nie wieder brauchen, solange Millionen Menschen in aller Welt an den Fernsehschirmen hocken, solange es spannende Wettkämpfe gibt, habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn auch Geld verdient wird.

Was halten Sie von diesem Samaranch?

Natürlich geht es mir auch auf den Geist, ähhh, Wecker, wenn dieser Oberheini vom IOC ständig in seinem sündhaft teuren Funktionärsmantel rumrennt und aufdringlich grinst. Aber dafür haben Sie ihn in Lillehammer ja auch ganz schön fertiggemacht. Im Mittelpunkt stehen schließlich immer noch die Sportler.

Ach, wirklich?

Fragen Sie sie doch. Michael Jordan schwärmt immer noch von seiner Olympiazeit – 1984 wohlgemerkt, als ihn kaum jemand kannte und er im olympischen Dorf wohnte. Monica Seles hat in Atlanta so viel mit Kolleginnen und Kollegen gequatscht, daß sie kaum zum Tennisspielen gekommen ist – und die anderen nicht zu Wort. Jeder, der im olympischen Dorf gewohnt hat, wird Ihnen erzählen, daß es eines der schönsten Erlebnisse war. Wahrscheinlich sogar Boris Becker.

Drum beschweren sich ja zum Beispiel die alpinen Skiläufer. Die wohnen nicht im olympischen Dorf, weil ihr Wettkampfort Hakuba zu weit weg ist.

Traurig, ja. Denen entgeht natürlich das olympische Erlebnis. Schließlich fraternisiert es sich am besten mit Sportlern aus anderen Disziplinen, die man nicht das ganze Jahr sieht und die vor allem keine Konkurrenten sind.

Aha, da haben wir's. Konkurrenz. Finden Sie nicht, daß alles zu verbissen geworden ist? Wir vermissen Ihr Eingreifen.

Nun ja, für viele steht eine Menge auf dem Spiel, auch finanziell. Andererseits: Sehen Sie sich die Langläufer aus Kenia an, die Bobfahrer aus Jamaika, den Skifahrer aus Südafrika. Da steht eindeutig der Spaß im Vordergrund. Dabeisein ist alles. Wo sieht man so was noch im Sport?

Jetzt wird's schwülstig, mein Lieber.

Gehört zu meinem Job. Bestreiten Sie, daß sich Biathleten, Rodlerinnen, Bobfahrer oder Eisschnelläuferinnen diebisch freuen, wenn sie einmal im Mittelpunkt stehen und stundenlang im Fernsehen kommen, nachdem sich vier Jahre lang keine Sau um sie gekümmert hat?

Anderseits haben Sie hinterher Schwierigkeiten, wenn sie wieder ins Loch fallen und statt den Millionen nur noch drei Leute bei Eurosport zugucken.

Kenn' ich, kenn' ich. Dieses Gejammer, drei Goldmedaillen und immer noch kein Sponsor, wie ungerecht, wie gemein usw. Die haben halt den Mechanismus von Olympia nicht durchschaut.

Und der wäre?

Die ganze Veranstaltung lebt doch geradezu von vergänglichem Ruhm, vom olympischen Moment. Leute, die niemand kennt, stehen plötzlich im Scheinwerferlicht und werden zu Helden eines klassischen Dramas. Sie rühren die Leute zu Tränen und, schwupp, sind sie wieder weg. Stars wie Katarina Witt, die noch zehn Jahre nach ihrem letzten Olympiasieg Werbeverträge absahnt, wie Toni Sailer, Kilius/Bäumler, Jean-Claude Killy oder Rosi Mittermaier gibt es nur äußerst selten und nur in den Sportarten, die auch sonst populär sind. Wer kennt schon noch Sixten Jernberg oder Lidia Skoblikowa?

Wen bitte?

Sehen Sie. Skoblikowa, sechs Goldmedaillen im Eisschnellauf.

Nicht schlecht.

Allerdings. Aber vergessen. Sjoukje Dijkstra dagegen kennt jeder.

Das kann man wohl sagen. „Holländischer Flugsaurier“ hat sie Eckhard Henscheid genannt.

Charmant, charmant. Im übrigen funktioniert die Sache mit der Berühmtheit keineswegs geradlinig. Wer hätte gedacht, daß Tonya Harding nach Lillehammer wesentlich erfolgreicher sein würde als Nancy Kerrigan? Filmrollen, Talkshows usw. Kerrigan dagegen: ein lustloser Auftritt in Disneyland, weg war sie.

Plädieren Sie etwa für Gewalt?

Bewahre, ich analysiere bloß.

Dann nur weiter. Wie kommt der olympische Moment zustande?

Verschieden. Sportlicher Wettkampf ist immer faszinierend. Das Problem ist bloß, die Menschen zum Zuschauen zu bewegen. Das funktioniert bei Olympia, gerade auch durch das Gigantomanische dieser Veranstaltung. Keiner kommt daran vorbei, überall ist Olympia, und plötzlich hängt alles vor der Glotze und verfolgt gebannt, wie Simone Greiner-Petter-Memm auf eine alberne Scheibe ballert.

Geht es nicht noch etwas genauer?

Klar doch. Der olympische Moment kann vorbereitet sein, etwa durch die schmalzigen Personenstories bei NBC, durch eine tage- oder monatelange Medienkampagne, er kann aber auch in einem einzigen Augenblick entstehen: die Großaufnahme eines vor Anstrengung verzerrten Gesichtes, der Sturz ins Ziel, das knappe Finish, die faire Geste. Lachen, Tränen, Jubel, Verzweiflung, das rührt die Menschen. Er kann sogar herbeigeschrien werden. Ich sage nur: Wo ist Behle?

Sie scheinen ein echter Fan zu sein.

Das liegt in der Natur der Sache.

Sehnen Sie sich nicht manchmal zurück, nach Chamonix 1924 zum Beispiel? Weg vom heutigen Jahrmarkt der Eitelkeiten und Dollars.

Ach, gemütlich war's damals. Aber selbst ein Geist muß mit der Zeit gehen.

Kommerzieller Overkill wie in Atlanta geht Ihnen doch auch auf die Nerven.

Na ja. Man muß sich schon fragen, ob das IOC die nötige Kompetenz zur Verwaltung der Olympischen Spiele hat. In Atlanta haben sie plötzlich gejammert, weil auch noch andere Leute Geschäfte gemacht haben als ihre kostbaren Sponsoren. Hier jammern sie, daß die Japaner die Sache nicht aggressiv genug vermarkten. Wer weiß, was sie in Sydney und Salt Lake City auszusetzen haben.

Es fehlt wohl am rechten Konzept.

Davon haben die Burschen offenbar wirklich keine Vorstellung, außer daß die Olympiastädte die ganze Drecksarbeit machen sollen und sie den Ruhm und den Profit absahnen. Andererseits sorgen sie immerhin dafür, daß es an den Wettkampfstätten immer noch keine Werbung gibt. Eindeutig eine Wohltat für das Auge, auch beim Fernsehen.

Was ist mit dem Gifu-Schmetterling?

Wie heißt der Kerl?

Gifu. Eine sehr seltene Art, deren Lebensraum durch die verlängerte Abfahrtsstrecke gefährdet ist.

Der Kompromiß bei der Abfahrt geht doch in Ordnung.

Mag sein, aber diese Diskussion war ja sowieso bloß ein Ablenkungsmanöver. „Der Vertrag mit der Natur wurde zerrissen“, sagen die hiesigen Umweltschützer. Betontrassen in die Berge, 5.000 gefällte Bäume für die Bobbahn.

Mir wurscht.

Wie bitte?

Nun gucken Sie nicht so entgeistert.

Die Umwelt ist Ihnen egal?

Wofür halten Sie mich? Etwa den Geist, der stets verneint? Ich kann mich nicht um alles kümmern. Außerdem wollen sie 40.000 neue Bäume pflanzen.

Wer's glaubt, wird selig.

Defätist!

Na gut, lassen wir das. Glauben Sie, daß Samaranch diese Winterspiele am Ende als die besten aller Zeiten preisen wird?

Möglich wär's. Zwar sind sich alle einig, daß an die tolle Stimmung in Lillehammer, die Gastfreundschaft und die gute Organisation, so bald nichts mehr ranreichen wird, aber schließlich haben ihn die Norweger damals ziemlich wegen seiner faschistischen Vergangenheit getriezt. Vielleicht will er ihnen ja eins auswischen.

Nun hätten wir gern noch eine ehrliche Auskunft. Waren Sie das, der den Japanern immer die olympische Flamme ausgepustet hat?

Kleiner Schabernack. Sagen Sie's bitte nicht weiter.

Okay! Interview: Matti Lieske

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