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Code-Farben: Blau-Gelb

Von Leuten, die vermeintlich auf sich halten, wird das Mobiliar der Schweden immer wieder gern belächelt. Doch Trend wird, was das Volk will – und das will Ikea  ■ Von Kirsten Niemann

Mit Bleistift und Maßband aus Papier bewaffnet, dem Verkaufskatalog unterm Arm rennen sie in Scharen durch das Möbelhaus; an der Schulter baumelt der unvermeidliche, große, gelbe Plastiksack. Die Menschen flezen sich durch die Ausstellungsstücke und stellen dabei fest, daß der Ruhesessel „Romme“ ein bißchen zur Wackeligkeit neigt und daher doch nichts für das heimische Wohnzimmer ist. Doch angezogen von der bunten Vielfalt hält sich niemand zurück, denn Anfassen, Ausprobieren und Probesitzen ist für die Kunden das Größte. Selbst wenn sie laut Einkaufsliste eigentlich ganz andere Ziele haben.

So wie Angelika Pape, in der Selbstbedienungsabteilung von Ikea auf der Suhe nach einem Schreibtisch. „Bevor ich mir irgend einen billigen Scheiß woanders kaufe“, findet die Kundin, „komme ich lieber zu Ikea.“ Hier seien die Stücke wenigstens klassisch schlicht und dabei „nicht selten auch echt witzig“. Dafür nimmt sie auch gerne die typischen Mißlichkeiten in Kauf. Denn die „Balder“-Tischplatte in Schwarz ist zwar recht schnell gefunden, doch Probleme bereiten die Beine: Modell „Curry“ in Konisch-Metallfarben ist ausverkauft, Zylindrisch- Weiß dagegen hundertfach vorhanden.

Weltweit ziehen 139 Ikea-Filialen rund 143 Millionen Kunden an. 27.000 Käufer zählte man allein in Deutschland, wo im vergangenen Jahr direkt ein Umsatz von 2,6 Millionen Mark erzielt wurde. Um die Preise niedrig zu halten, werden auch die Produktionskosten auf einem möglichst geringen Standard gehalten: So werden Rohr- und Korbmöbel meist in Fernost gefertigt. Kopf- und Fußende eines Bettes kommen aus dem einen Werk, der Bettkasten schon mal aus einem anderen, während die Matratze schließlich aus dem dritten geliefert wird. Wenn 1.500 Lieferanten ihre Waren aus 50 Ländern heranschaffen, kann es schon mal zu oben beschriebenen Engpässen kommen. Doch eines sollte schließlich immer gewährleistet bleiben: der kleine Preis.

Jeder hat Ikea. Selbst wer sein kastiges „Klippan“-Sofa irgendwann einmal ausgemistet und die Wohnung zur ikeafreien Zone erklärt, hat unter Garantie den Ikea- Korkenzieher vergessen, das Beistelltischchen „Lack“ oder das „Ivar“-Regal. Ein Klassiker übrigens, der schon seit 50 Jahren zum Sortiment gehört.

Im Gegensatz zu verschiedenen Modeketten, wie etwa H & M, deren größte Qualität es ist, möglichst schnell die auf den großen Schauen propagierten Trends zu kopieren, sind bei Ikea etwa 30 hauseigene Designer am Werk. „Bei uns ist alles Design“, meint Barbara Körner von der deutschen Hauptfiliale in Hofheim-Wallau. „Wir greifen keine Trends auf, sondern machen selber welche.“

Von der aufgeblasenen Schickeria belächelt, wird das Ikea-Produkt hingegen von der Design- Welt gelobt: „Ikea rüstet für den nächsten Babyboom“ – lautete denn auch eine Schlagzeile in der Design-Fachzeitschrift Design-Report, in der man der neuesten Kindermöbel-Kollektion samt Wipp- Banane „Maane“ und Teppich „Hoppa“ jüngst einen eigenen Artikel widmete. „Einzelne unserer Kollektionen werden direkt zu ,Sahnehäubchen‘“, erzählt Barbara Körner. Womit sie die sogenannte „PS“-Reihe meint. 19 junge schwedische Designer aus Stockholm, die „noch nicht auf einen besonders langen beruflichen Werdegang zurückblicken können“, kreierten – von der Untertasse bis zum Wecker, Tisch, Sofa und zusammenklappbaren Bücherschrank – eine aufeinander abgestimmte Produktpalette, von denen einzelne Stücke gar mit Design-Preisen ausgezeichnet wurden.

In dem Umstand, das einige der Möbel nicht auf Beinen, sondern auf Rädern stehen, sieht Körner einen wesentlichen Trend unserer Zeit umgesetzt. „Das zeigt Flexibilität und Mobilität“, findet sie. „Wo heute doch immer öfter umgezogen wird, erleichtern die Rollen das Einrichten neuer Räume.“ Ihr werbetaugliches Fazit: „Diese Dinge zeigen, das Ikea sich bewegt!“

Das Design-Zentrum Nordrhein-Westfalen vergab den „roten Punkt für hohe Designqualität“ im Rahmen des internationalen Wettbewerbs „Design Innovation“ innerhalb der „PS-Reihe“ gleich zweimal: für den PS-Klapptisch von PM Skiöld und den klappbaren Bücherschrank des schwedischen Designers Jan Schedin. Auch der von Nils Gammelgaard entworfene Drehstuhl „Nevin“, bereits für 59 Mark zu haben, konnte die Auszeichnung für sich beanspruchen, wie das Ikea- Waschbecken Aann mit Unterschrank, von dem nicht nur „der Materialmix aus hellem Holz (Birke), Milchglas und Metall“ lobend erwähnt wurde, sondern auch die Gestaltung: „schlicht, schön und konsequent reduziert auf das eigentlich Wesentliche“.

Preisverdächtig ist auch die formal an „Klippan“ angelehnte, aber aufblasbare „a.i.r.“-Sitzmöbel- Kollektion. „Air is a Resource“ wird hier das Öko-Bewußtsein genährt. Außerdem: „Setzen Sie sich, und sie spüren, wie sich das Möbel dem Körper anpaßt. Durch Luftregulierung entscheiden Sie selbst, wie hart das Sofa oder der Sessel sein soll.“ Flexibilität total.

Flexibilität beweist bei Ikea auch immer wieder der Kunde. Denn an der Kasse angekommen, ist Angelika Pape nicht nur um vier weiße zylindrische Tischbeine reicher. „Manchmal muß man eben umdenken“, findet die Kundin. Im gelben Plastiksack verbergen sich hundert andere Dinge, die sie eigentlich gar nicht haben wollte: Satin-Bettwäsche, Messerblock „Anod“ und ein neuer Satz Küchenhandtücher. Die Überraschung für die Kinder: ein buntes Zelt aus dem Family-Shop.

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