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Sieg macht Angst

In Dortmund sieht man trotz des 3:1 gegen Stuttgart ein, daß selbst ein Uefa-Cup-Platz nur Wunschtraum bleibt  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Dortmund (taz) – Zweierlei zeichnet sich ab: Borussia Dortmund wird wohl doch nicht absteigen, und der VfB Stuttgart „kann sich aus dem Rennen um die vorderen Plätze verabschieden“. Letzteres erkannte VfB-Trainer Joachim Löw nach der 1:3-Niederlage im Westfalenstadion in üblicher Gelassenheit. Hingegen beruhigte seinen Dortmunder Kollegen Nevio Scala der Drei-Punkte-Schritt ins Mittelfeld ganz und gar nicht. „Angst“ mache ihm der Sieg, betonte Scala und sah wirklich leidender aus als nach mancher Niederlage. Man muß das verstehen: Oft schon war in dieser Saison ein einigermaßen beherrschter Auftritt des Champions-League-Gewinners nur ein Vorbote für den nächsten Flirt mit dem Desaster.

Aber: Nach 22 Spieltagen sieht es fast so aus, als hätten die Dortmunder Berufsfußballer begriffen, daß man diese Saison einfach nur noch hinter sich bringen muß. Während im Herbst jeder Sieg noch als Zeichen des Aufschwungs in Richtung Uefa-Cup-Platz gewertet wurde, ist nun neue Bescheidenheit Konsens. Es geht allein darum, eine Implosion des BVB zu verhindern. Denn nach der Niederlage vor Wochenfrist in Bochum war der Überdruck schon wieder derart gestiegen, daß Notversammlungen einberufen wurden. Scala war von der entlastenden und reinigenden Wirkung der Meetings überzeugt: „Wir haben viel gesprochen.“ Präsident Gerd Niebaum, der selbst eine seiner traditionellen Moralappelle an die Mannschaft gerichtet hatte, hingegen verkündete: „Es ist weniger geredet und mehr gearbeitet worden – das ist entscheidend.“

Harry Decheiver faßte zusammen, Ansprachen „von Präsident, Vizepräsident und Trainer“ hätten „allen geholfen“ und zu einem Schwur geführt: „Wir haben gesagt: Jetzt ist Schluß, wir müssen zeigen, was wir drauf haben.“ Avisiert waren laut Decheiver 120 Prozent der Leistungsfähigkeit.

Den „Knipser“ (Ehrentitel aus Freiburger Zeiten) selbst motivierte das Gelöbnis besonders. Er schoß das erste und dritte Tor und hat nun einen eigenen Gesang der Südtribüne. Bei beiden Treffern halfen die Stuttgarter mit Ballverlusten respektive Deckungsfehlern allerdings kräftig mit, weshalb Gerhard Poschner von „Zufallsprodukten“ der Borussen sprach. Auch beim 2:0 assistierten die Schwaben. Einen Freistoß von Andreas Möller lenkte Fredi Bobic, in seiner vorgesehenen Sturmrichtung glücklos, an die Latte. Den Rückpraller köpfte Jürgen Kohler ins Netz. Kohler, Dortmunder „Fußballgott“, aber von den Stuttgartern gerade als Kandidat fürs „Altersheim“ verhöhnt, freute sich unbändig. Joachim Löw hingegen dürfte die Faust in der Jackentasche geballt haben. Nur ein Sieg hätte Stuttgarts Kontakt zu einem Champions-League-Platz nicht komplett abreißen lassen. „Hohes Risiko“ war der Trainer deshalb mit einer äußerst offensiven Anfangstaktik gegangen und hatte zunächst praktisch mit einer Zweier- Abwehr (Murat Yakin und Thomas Berthold) gegen Zweier- Sturm (Stephane Chapuisat neben Deicheiver) spielen lassen. Aber das Übergewicht im Mittelfeld und gute Pressing-Ansätze sollten sich nicht auszahlen. Vor allem, weil Krassimir Balakov einen schlechten Tag hatte und Stefan Reuter ihm den Rest gab. Unter anderem leitete der mit einem gewonnenen Ballduell das erste Tor ein. Danach, stellte Löw fest, „sind wir auseinandergefallen“.

Etwas defensiver versuchten die Stuttgarter in der zweiten Halbzeit ihr Glück. Doch es mußte erst Jörg Heinrich fahrlässig das 4:0 und die endgültige Entscheidung vergeben, bis Fredi Bobic mit seiner ersten guten Chance in die richtige Richtung an Stefan Klos scheiterte. Der Dortmunder Torwart verhalf mit einem beeindruckenden Abwehrfehler Bobic dann doch zum Ehrentreffer (68.).

Es mag schlechte Laune des Keepers gewesen sein, denn die zehnjährige Beziehung zwischen Spieler und Verein steht kurz vor der gerichtlichen Scheidung. In einer Mischung aus BVB-Müdigkeit und Enttäuschung über zu geringe menschliche und finanzielle Wertschätzung will Klos den Vertragsparagraphen elf kippen. Der könnte ihn, wenn der Verein es will, zu einem weiteren Arbeitsjahr in Dortmund bzw. seinen künftigen Arbeitgeber zur Zahlung einer Ablöse zwingen. Als BVB-Chef und Jurist sieht Niebaum dem Prozedere „leidenschaftslos“ entgegen. Stefan Klos tut das auch. Mit der großen Emotion ist es gerade nicht weit her in Dortmund.

VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Yakin – Schneider (46. Spanring), Berthold – Soldo – Haber, Poschner (76. Lisztes), Balakow, Stojkowski – Bobic, Raducoiu (69. Akpoborie)

Zuschauer: 54.500

Tore: 1:0 Decheiver (22.), 2:0 Kohler (29.), 3:0 Decheiver (43.), 3:1 Bobic (63.)

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