Next Stop Nagano: Im großen Schneetal
■ Nach Absage der Abfahrt ist Gebetsgesang nötig – nur bitte nicht von Lloyd Webber
Morioka ist für den alpinen Skisport ungefähr das, was Cordoba für den deutschen Fußball darstellt: Debakel, Menetekel und Schreckgespenst. Als bei der Ski-WM von Morioka 1993 kein einziges Rennen zur festgesetzten Zeit ausgetragen werden konnte und ein Super-G sogar gänzlich abgesagt wurde, begannen einige mit Grausen an Olympia in Nagano zu denken.
Katja Seizinger spielte wonnevoll die meteorologische Kassandra, und selbst der Organisationschef in Hakuba mußte zugeben, daß er froh wäre, wenn drei Rennen planmäßig über die Piste gingen. Es könnte sein, daß seine drei schönen Tage mit den Trainingsläufen der Abfahrer vor Olympiabeginn schon verbraucht sind. Gestern jedenfalls begann es im „Großen Schneetal“ pünktlich nach dem dritten Vorläufer der offiziellen Abfahrt zu schneien und hörte erst und schlagartig wieder auf, als das Rennen abgesagt war.
Die Prognosen sind schlecht. Erst am Mittwoch gibt es wieder etwas Hoffnung, weshalb die Abfahrt auch zu diesem Termin neu angesetzt wurde. Während sich alle Unkenrufer bestätigt sehen, fand Gianfranco Kasper, Generalsekretär des Weltverbandes FIS, die Absage „normal“ und Überlegungen, Olympia einfach zu verlängern, „sehr theoretisch“. IOC-Präsident Samaranch hat solche Ideen ohnehin bereits verworfen. Abhilfe könnte vielleicht eher ein neuerlicher Gebetsgang in den Zenkoji-Tempel von Nagano schaffen. Dort hatten die Olympia- Organisatoren Anfang des Jahres um Schnee gefleht. Wie man sieht, mit Erfolg.
*You cant't avoid – Andrew Lloyd. Da hat man sich gerade von den trällernden Generälen und dem tremolierenden Antonio Banderas in „Evita“ erholt, schon schlägt Mr. Webber wieder zu.
„When children rule the world“ nennt sich das Machwerk, mit dem der König der Seichtigkeit die bis dahin traditionell-ehrwürdig geprägte Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele blitzschnell auf das Niveau einer besonders grausigen Phase des Grand Prix d'Eurovision herabzog.
Weiß der Tenno, wie die Organisatoren ausgerechnet auf den notorischen Profanisierer argentinischer Ikonen, unschuldiger Katzen, armer Phantome und vermutlich bald einer hilflosen Diana verfallen sind. Klar sein dürfte dagegen, was die Kinder von Nagano, die nach seinem Song albern herumhüpfen mußten, als erstes tun werden, wenn sie tatsächlich die Welt regieren sollten: Andrew Lloyd Webber das Komponieren verbieten.
*Eine alternative Eröffnungsfeier fand am Samstag im Zentrum von Nagano statt. Durch die Straßen lief ein grüner Godzilla und brüllte: „Samaranch, go home!“ Das Monster war Teilnehmer einer Demonstration von etwa 200 Leuten, die gegen die Spiele in ihrer Stadt sind. Sie beklagen vor allem die immensen Kosten und die Zerstörung der Umwelt.
„Wir haben deutlich gemacht, daß es Stimmen gibt, die gegen Olympia sind“, sagte Masao Ezawa, einer der eifrigsten Gegner der Nagano-Spiele und Mitorganisator der Demo, die von der örtlichen Polizei scharf beäugt wurde.
*Endlich hat der IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch doch noch Gehör gefunden mit seiner Forderung nach einem olympischen Waffenstillstand. Die größte Gangster-Organisation Japans rief ihre Mitglieder auf, keine Verbrechen im Zusammenhang mit Olympia zu begehen und auch schwelende Fehden mit anderen Gangs so lange ruhen zu lassen, bis die Spiele vorbei sind. Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen