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„Den Kindern kauft man die Zeitung ab“

Eine Erfolgsstory, die Kinderhände geschrieben haben: Die Kreuzberger Zeitung „KidsBlitz“ behauptet sich seit zweieinhalb Jahren. Hier hält der Nachwuchs das Heft fest in der Hand, Profis stehen nur betreuend zur Seite  ■ Von Britta Barlage

Bunte Grafitti empfangen die Besucher im Wasserturm am Kreuzberger Chamissoplatz. Eines davon: Aladins Wunderlampe. Der Geist, der Wünsche erfüllen kann, steigt daraus empor. Wer ihm folgt, gelangt zur KidsBlitz- Redaktion. Von drinnen ertönen Kinderstimmen.

„Das Titelblatt muß vor allem viele Leute ansprechen“, sagt der zwölfjährige Andrea. Vor ihm liegen zwei Zeichnungen: Auf der einen sind tickende Wecker zu sehen, die andere bildet einen Jungen ab, der mit Schrecken auf seine Armbanduhr schaut und ruft: „Hilfe! Ich komme zu spät!“ „Okay“, sagt der dreizehnjährige Marius nach einiger Überlegung, „laß uns das Bild mit dem schlotternden Jungen nehmen, das andere kommt auf die Rückseite.“

Es ist Redaktionssitzung bei KidsBlitz, in Berlin die einzige Zeitung, die von Kindern gemacht und verkauft wird. Nach Themen wie „Spiele“, „Sport“, „Freundschaft“ oder „Angst“ soll es in Ausgabe Nummer sechzehn um „Zeit“ gehen. Den Schwerpunkt haben die jungen ZeitungsmacherInnen von KidsBlitz bereits bei der letzten Sitzung festgelegt – wie beim Titelblatt als Gemeinschaftsentscheidung. „Zeit paßt gut zum Jahresanfang“, findet Andrea. Alle Kinder haben Texte und Zeichnungen mitgebracht – damit auch diesmal wieder 23 Zeitungsseiten von Kindern für Kinder und Erwachsene erscheinen können.

Einige Texte haben die Kids bereits in den Ordner für die nächste Ausgabe eingefügt. Andrea blättert darin und trifft auf das Porträt der zwölfjährigen Ellena, die neu im Team ist und beschreibt, was sie bewegt. Sie möchte „das Geld abschaffen“, „berühmt werden“ und hat „Angst vorm Tod“.

Porträts sind eine feste Rubrik bei KidsBlitz. Genau wie die Comics, die vor allem Andrea und Marius zeichnen. So erleben „Tim& Exx“ von Marius gleich in mehreren Ausgaben ihre wilden Abenteuer. Ein paar Seiten weiter: Witze. „Wer einen kennt, schreibt ihn gleich auf“, sagt Andrea. Und damit die Seiten schön aussehen, malt ein anderer ein Bild dazu. Andrea schließt den Ordner und greift nach einem Stück Papier, das handschriftlich beschrieben ist. Sein Text zum Thema Zeit handelt davon, daß „der Februar ganz schnell vergeht“. Denn dann habe er Geburtstag und viele Geschenke zum Spielen.

Den Text muß Andrea noch in den Computer eingeben. Ulf Mailänder hilft ihm dabei. Der freie Journalist unterstützt die Kids beim Zeitungsmachen. Zusammen mit der Erzieherin Annette Reisinger gibt er Anregungen, steht den Kindern beim Umgang mit dem Rechner zur Seite und sorgt dafür, daß die Disketten rechtzeitig zur Druckerei kommen. Das heißt aber nicht, daß sich die jungen Zeitungsmacherlnnen den Stift aus der Hand nehmen lassen. „Wir schreiben nichts um“, sagt Annette Reisinger, „die Kinder sind die Autoren.“ Seit der ersten Ausgabe im Mai 1995 stammen rund 80 Prozent aller Beiträge von kleinen Journalistlnnen. Auch den Namen hat sich ein Mädchen ausgedacht.

Geboren wurde die Idee für die Zeitung im Selbsthilfeverein Wasserturm e.V., der Ulf Mailänder für das Projekt engagierte. Seither erscheint alle sechs bis acht Wochen eine neue Ausgabe, bisher insgesamt 15mal. Auch die Auflage kann sich sehen lassen: 5.000 Zeitungen kommen jedesmal aus der Druckerei. Finanziert wird der Druck über den Verkauf, den ebenfalls die Kinder übernehmen. „Den Kindern kauft man die Zeitung ab“, erklärt Mailänder den Erfolg.

Auf der Straße, in Cafés, an der Info-Box oder in der U-Bahn bringen die Kids ihre Zeitung unter die Leute. „Ich spreche vor allem Leute an, die nett aussehen“, beschreibt Andrea seine Verkaufsstrategie. Zwei Mark kostet ein Exemplar, und wie bei den Obdachlosenzeitungen gilt: Eine Mark geht an die Verkäufer. Damit können die Kids ihr Taschengeld ganz schön aufbessern. Einmal, erzählt Mailänder, habe ein Junge in sechs Wochen mehr als 800 Mark verdient, „Das hat er aber aufs Sparbuch gelegt“, beschwichtigt der Journalist, der darauf achtet, daß die Geschäfte der Kinder keine unerwünschten Blüten treiben. So müssen die kleinen Verkäuferlnnen mindestens zehn Jahre alt sein und das Einverständnis ihrer Eltern einholen.

Nicht jedes Kind, das schreibt, verkauft auch und umgekehrt, denn bei KidsBlitz ist alles freiwillig. Neue Leute sind jederzeit erwünscht, und niemand wird böse, wenn sie nicht regelmäßig mitmachen. Trotzdem gibt es einen Verkäuferstamm von etwa siebzig Kindern, und bisher gab es stets genügend Texte und Zeichnungen für die nächste Ausgabe. „Klar kommen mal mehr und mal weniger Kinder“, berichtet Ulf Mailänder.

Damit die Idee noch mehr Kinder erreicht, spricht Annette Reisinger mit verschiedenen Grundschulen:„ Seit der letzten Ausgabe haben wir eine Außenredaktion in Lichtenberg.“ Im dortigen Haus der Kinder, direkt neben dem Kindertheater Caroussel an der Parkaue, empfangen laute Kinderstimmen die Besucher. In Treppen und Fluren mit bunten Bildern an den Wänden spielen jede Menge Kids. Doch im ersten Stock gibt es eine Tür, hinter der es ruhiger zugeht.

Christiane (12), Kristin (13) und Katja („fast 13“) sitzen am Tisch und schreiben. Die Mädchen sind frischgebackene Redakteurinnen von KidsBlitz und vertreten die neue Lichtenberger Redaktion. Einmal in der Woche ist Redaktionssitzung. „Dann schreiben wir über Lustiges und Trauriges“, erklärt Kristin, „meistens Gedichte.“ Wie das vom „blauen Carussell des Elefantengeheges“ oder das von den „Schmetterlingen, die wie Bienen stechen“. Annelie Streit vom Haus der Kinder steht den Kindern zur Seite. Die Pädagogin hat auch den Kontakt zu KidsBlitz hergestellt – jetzt kommen Annette Reisinger oder Ulf Mailänder regelmäßig ins Haus der Kinder, um mit den Mädchen zu arbeiten und ihre Gedichte mitzunehmen. Doch nicht nur die Texte aus Lichtenberg sind eine Veröffentlichung wert – in der letzten Ausgabe hat Kristin für das Bild auf der Rückseite gesorgt.

Vor allem wegen der Atmosphäre bleiben die Kinder beim Projekt. „Hier macht das Schreiben viel mehr Spaß als in der Schule“, meint Kristin. Ihre Berufswünsche hat das Zeitungmachen aber noch nicht beeinflußt: „Ich weiß noch nicht, was ich werden will.“ Anders bei Marius und Andrea aus Kreuzberg. Marius will Comiczeichner werden und Andrea Schriftsteller. Fälle für Aladins Wunderlampe? „Als ich zum erstenmal herkam, hab' ich mir gewünscht, irgendwann einmal das Titelblatt für KidsBlitz zu machen“, sagt Andrea. Längst hat er mehrere gezeichnet.

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