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Magie des schlechten Charakters

Larissa Lazutina wird mit der Goldmedaille im 5-km-Langlauf in ihrer Entscheidung bestätigt, aus dem Trainingsprogramm des russischen Verbandes auszuscheren  ■ Aus Hakuba Matti Lieske

„Es war mein schlechter Charakter, der mich das Rennen gewinnen ließ“, sagt Larissa Lazutina kokett, nachdem sie sich eben die Goldmedaille im 5-km-Langlauf (klassischer Stil) geholt hat. Besagten schlechten Charakter hatten ihr offenbar Funktionäre vorgehalten, bis sie vor einem Jahr aus dem Trainingsprogramm des russischen Verbandes ausscherte und sich mit Ehemann, Trainer und persönlichem Sponsor auf die Olympia-Saison vorbereitete. Ein Weg, der sich zuerst mit Silber über 15 km und gestern mit Gold als ausgesprochen erfolgreich erwies. Bei so viel Genugtuung kann die 32jährige natürlich nicht widerstehen, ausgiebig auf der Charakterfrage herumzuhacken.

Im Zielraum allerdings war von dieser trotzigen Aufmüpfigkeit noch nichts zu spüren gewesen. Minutenlang lehnte Lazutina schluchzend auf der Bande, als die Tschechin Katerina Neumannova vier Sekunden zu spät über die Ziellinie gerutscht war und mit dem zweiten Platz vorlieb nehmen mußte, nachdem sie bei den ersten Zwischenzeiten noch die Bestzeit hatte. „Ich hatte eine schwierige Startnummer, weil ich so lange auf die anderen starken Läuferinnen warten mußte“, erklärt die Russin ihren Gefühlsausbruch, als der Sieg perfekt war. Außerdem sei dies der Höhepunkt ihrer Karriere, denn: „Olympia ist eben das Größte.“

Neumannova war keineswegs überrascht, daß es am Ende nicht gereicht hatte. „Ich wußte schon, daß ich auf dem Hügel nach drei Kilometern in Führung lag, aber ich war so müde, daß ich nicht daran geglaubt habe, bei der letzten Steigung den Vorsprung retten zu können.“ Und dann kam ja noch das lange Flachstück am Schluß, „wohl für alle die härteste Phase“, wie Neumannova vermutet, „besonders aber für mich“.

Einigkeit herrschte bei den Läuferinnen, daß es ein extrem schweres Rennen war. Der Kurs hatte es mit seinen vielen Steigungen und kurvigen Abfahrten ohnehin in sich, hinzu kam dichtes Schneetreiben und damit schlechte Sicht während des gesamten Rennens. Immerhin seien die Bedingungen, anders als bei den 15 Kilometern, von Anfang bis Ende gleich gewesen, meint die Bronzemedaillengewinnerin Bente Martinsen. Sie war von einer unerschütterlichen Norwegergruppe auf der Tribüne per Glockengeläut vorangetrieben worden. „Das Wetter war gräßlich“, gab selbst Siegerin Lazutina zu, ergänzte aber schnell: „Für mich war es prima.“

Der winterliche Überfall von oben hatte sich auch auf den Publikumszuspruch ausgewirkt. „Ein bißchen mehr Zuschauer wären schön gewesen“, sagt Kati Wilhelm aus Thüringen, die sich mit ihrem 26. Platz eine gute Ausgangsposition geschaffen hat, um am Donnerstag beim Jagdrennen über 10 Kilometer in der freien Technik noch ein bißchen weiter nach vorne zu kommen. Lob hat die 21jährige aber für die japanischen Zuschauer an der Strecke: „Da war gute Stimmung. Die haben sogar mit Namen angefeuert.“

Beim Jagdrennen wird nach dem Ergebnis auf dem 5-km-Kurs gestartet, Lazutina also vorneweg. Die Russin hat gute Aussichten, die Nachfolge ihrer Kollegin Ljubow Jegorowa anzutreten, die in Lillehammer drei Goldmedaillen gewonnen hatte, diesmal aber nicht dabei ist, weil es „ein Problem“ (Lazutina) gab.

Das Problem ist, daß sie des Dopings überführt und gesperrt ist. Die Siegerin von Hakuba vermeidet es geflissentlich, das böse Wort in den Mund zu nehmen, und spricht lieber von dem „hervorragenden Training“, das ihre kleine Gruppe, der sie samt Sponsor beharrlich ihren Dank abstattet, im Sommer absolviert hat. 1995 hatte Lazutina bei den Weltmeisterschaften in Thunder Bay schon einmal Titel gesammelt, insgesamt drei. Dann aber war sie nach einer schweren Erkältung mit anschließender Ohrenentzündung und den Querelen im russischen Team, vor allem mit Cheftrainer Gruschin, in einen „jämmerlichen Zustand“ geraten. Sogar ans Aufhören habe sie gedacht, bis „ein ernsthaftes Gespräch mit dem Verband“ die Individualisierung ermöglichte und die Dinge wieder ins Lot brachte.

Bleibt die Frage, ob die Magie des schlechten Charakters auch morgen wirkt. Karina Neumannova hält das Jagdrennen angesichts der geringen Zeitabstände für völlig offen. „Es sind viele gute Läuferinnen vorn, und selbst für Belmondo ist bei der Verfolgung nichts unmöglich.“ Die zähe Italienerin liegt nach den fünf Kilometern mit knapp 42 Sekunden Rückstand auf dem zwölften Rang.

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