: Ein vertrauter Fremder
■ taz-Serie Grenzgänger, Teil 7: Teilzeit- Aussteiger Gerhard Hoffmann vom „Hilfswerk Haiti“ Von Marco Carini
Nach der letzten warmen Dusche für die nächsten Monate tauscht Gerhard Hoffmann heute auf dem Weg zum Flughafen Fuhlsbüttel das Vermieterjackett gegen ein Tropenhemd. Sein Ziel: Port-au-Prince, Haiti. Auch seine 140-Quadratmeter-Wohnung läßt Hoffmann in Hamburg zurück, um sich in der nordwest-haitianischen Kleinstadt Baie-de-Henne mit einer kleinen Hütte und einem einflammigen Gaskocher zu bescheiden.
Gerhard Hoffmann ist kein gewöhnlicher Entwicklungshelfer; Luxusleben und Segel-Ausrüstung hat der heute 57jährige erst vor 10 Jahren an den Nagel gehängt, um „das Geld, was ich verdient habe, sinnvoll einzusetzen“.
Schuld an dem Lebens-Wandel des Gerhard Hoffmann waren zwei einschneidende Erlebnisse: Als seine Mutter starb, wurde dem damals 47jährigen die Endlichkeit des Daseins bewußt. „Die persönliche Bilanz, die ich damals gezogen habe, ist ziemlich dünne ausgefallen. Bis dahin hatte ich ein sehr egoistisches Leben geführt.“
Ein Jahr später auf Haiti ließ ihn der Gegensatz zwischen der verschwenderischen Tourismus-Traumwelt und der nackten Armut nicht zur Ruhe kommen. Zusammen mit seiner Schwester Katharina gründete er das „Hilfswerk Haiti e.V.“.
Seitdem steckt er seine ganze Energie darein, Geld für die Errichtung von Schulen, die Wiederaufforstung gerodeter Waldgebiete und die Ausstattung von Missionshospitälern auf der Antillen-Insel zu sammeln. „Ich habe für mich eine anständigere Möglichkeit zu leben gefunden“, sagt der 57jährige.
Anständiger als das Reichwerden mit seinem „Rechtsbeistandsbüro“, mit dem er – nicht selten mit rüden Methoden – für seine Kunden das Geld von säumigen Schuldnern eintrieb. Oder besser: eintreiben ließ. Denn acht bis neun Monate im Jahr bräunte Hoffmann seinen Körper bei ausgedehnten Segelturns im Mittelmeer.
Luxus fast ohne Arbeit: Gerhard Hoffmann hatte sich diesen Traum erfüllt. Um dann ganz einfach die Lust daran zu verlieren. „Da ich den Wohlstand erlebt habe, fällt es mir leicht, darauf zu verzichten“, hat er festgestellt. „Wenn ich in die Kiste springe, ist es egal, ob ich zwei oder zehn Häuser habe“.
Zum Segeln bleibt ihm jetzt kaum Zeit. Den Großteil des Jahres lebt Hoffmann heute in seinem 24 Quadratmeter kleinem Häuschen in dem Städtchen Baie-de-Henne. Klares Naß aus dem Wasserhahn gibt's dort nicht, und das Trinkwasser muß aus der Hauptstadt Port-au-Prince herbeigekarrt werden. Tags packt der Self-made-Entwicklungshelfer bei seinen Projekte an. „Es bringt mir Spaß zu sehen, wie die Projekte und die Fachkenntnisse meiner haitianischen Mitarbeiter wachsen.“ Als Gegenleistung für sein Engagement lernt er von den HaitianerInnen nicht nur Gelassenheit, sondern auch etwas, was er nur mit dem pathetischen Wort „Freude“ ausdrücken kann.
„Gleichberechtigt“ mit den HaitianerInnen – das ist Hoffmanns Ziel und sein „wunder Punkt“ zugleich. Natürlich weiß der 57jährige, „daß ein Entwicklungsprojekt gegen den Willen der Betroffenen keinen Zweck“ hat. Doch dann gesteht er, daß er „in der Hitze des Gefechts“ schon mal so lange seine Argumente herunterbetet, „bis es eine Einigung auf meiner Basis gibt“. Oder zumindest einen Kompromiß, wenn es etwa darum geht, ob der schnellwachsende Eucalyptus, der schnelles Geld bringt, oder der für die Anreicherung des Bodens bessere „Leucena“ angepflanzt werden soll. Nun wachsen sie beide friedlich nebeneinader.
Er sei sehr „arbeits- und projektbezogen“ bekennt sich Hoffmann zu seinen „preußischen Sekundärtugenden“. So rackert er, plant und baut auf in Haiti - und bleibt dabei auch nach siebenjährigem Aufenthalt nur ein wohlbekannter Fremder. „Ich habe mich bisher kaum mit der Tradition und der Religion der Haitianer auseinandergesetzt“, räumt der Hamburger ein. „Vielleicht aus der Überheblichkeit des Weißen heraus“ habe er soziale Kontakte zu den HaitianerInnen „zu wenig gepflegt“.
Zwei bis drei Monate im Jahr kehrt der Teilzeit-Aussteiger in die vertraute Hamburger Umgebung zurück; als ganz normaler Hauseigentümer, der sich schwer damit tut, „Problemmieter“ zu beherbergen. „Mein soziales Engagement hier ist begrenzt.“ Schließlich braucht er das Geld für sein Hilfswerk, mit dem er zwar „das Elend der Dritten Welt nicht beseitigt“. „Doch wenn ich dazu beitragen kann, daß es 500 Familien besser geht, reicht mir das.“
Hilfswerk Haiti (Tel: 516506) sucht noch ehrenamtliche HelferInnen mit landwirtschaftlichen oder handwerklichen Kenntnissen.
Teil 8: Hinter jeder Sucht steckt Sehnsucht. Portrait von einer, die den Absprung geschafft hat am Donnerstag, 17. August
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