Kommentar: Der Evergreen
■ Olympische Spiele bleiben trotz aller Kritik ein spannendes Ereignis
Kürzlich klagte ein Kollege, daß die Olympischen Winterspiele ihn gar nicht erfreuten. Die Sportler seien zu vermummt, und überhaupt sei es nicht mehr so wie früher, als man selbst während einer 50-Kilometer-Langlauf-Übertragung kaum wagte, aus dem Wohnzimmer zu gehen. Der Melancholiker räumte ein, daß der verlorene Reiz Olympias vielleicht mit seinem fortgeschrittenen Alter zu tun habe. Andere Stimmen beschweren sich über die Kommerzialisierung der Spiele und die Granden vom IOC, die Konzernen Tür und Tor öffneten. Bei dieser Entwicklung, so wird nahegelegt, blieben traditionelle Disziplinen wie Biathlon, Rodeln, Eisschnellaufen und Langlaufen auf der Strecke. Statt dessen würden sogenannte Trendsportarten wie das Snowboarden avancieren.
Kurzum: alle vier Jahre der gleiche falsche Ton, das intellektuelle Ressentiment gegen ein Ereignis, das die meisten Menschen in den teilnehmenden Ländern am Ende doch sehr mitnimmt. Tatsächlich lebt, erstens, alles olympische Tun von der Grundregel des Sports: Man weiß nie wirklich, wer Gold gewinnt. Vor vier Jahren hätte alle Welt geschworen, daß Gunda Niemann gewinnen wird – und sie strauchelte doch. Um so mehr darf man jetzt mitfühlen, daß sie ihre Nervosität diesmal im Griff hatte und siegte. Ihre Freude wirkte ehrlich und ansteckend. Zweitens ist den meisten TV-Mitfieberern ganz egal, ob ein Sportler hübsch ist oder hernach Millionär wird – entscheidend ist, ob er oder sie famos kämpft und vielleicht über sich hinauswächst. Wir Zuschauer hoffen, daß das ewige Märchen von David gegen Goliath wahr werde.
Das IOC ist zwar ein Klub alter Männer, dennoch wissen sie genau, daß Olympische Winterspiele, die nur auf Spektakel wie Eishockey setzen, unattraktiv sind. Zuschauen würden nur Fans – und das lohnte sich für die Sponsoren nicht. Sie brauchen ein breites Publikumsinteresse. Insofern sind die Winterspiele gerade auf Disziplinen wie Rodeln oder Skispringen angewiesen – nur über diese Vielfalt haben kleine Länder ohne Wintersporttradition – wie Bulgarien – überhaupt eine Chance, Helden ihres Alltags hervorzubringen.
Und drittens ist der 50-Kilometer- Langlauf immer wieder spannend. Man muß nur zuschauen – übernächsten Sonntag nachts um 1.30 Uhr – und den Zeitmesser im Blick behalten. Wer will, fiebert mit. Und wer das nicht versteht, darf älter werden – und weiterschlafen. Jan Feddersen
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