„Nicht der Justiz vertrauen“

■ Bundesweites Pilotprojekt in Oldenburg: Jugendrechtshaus soll Kids zum Recht verhelfen und bei Streitigkeiten mit Behörden und Familie schlichtend eingreifen

„Ich mußte mir die Haare waschen.“Ja, vielleicht habe sich die Entschuldigung ein bißchen weit hergeholt angehört, nach der großen Pause. Aber die Schokokuß-Kopfwäsche zum 13. Geburtstag sei ja auch „eine irgendwie seltsame Idee“, findet Sandra. „Uralter Schulbrauch“, hatte die Freundin gesagt. Was sollte sie machen? Hinterher eben husch zur Schnelldusche unter den Wasserhahn auf der Toilette. Aber dann der Blick des Lehrers, als sie zehn Minuten zu spät in den Unterricht zurücckehrte – „Das kommt ins Klassenbuch.“Und als sie sich wehrte: „Was willst du, wozu bist du überhaupt auf der Welt?“Für das Mädchen ein klarer Fall: „Das darf der doch bestimmt nicht.“

„Dieses ganze Schulsystem ist total ungerecht“, sagt Sandra ein paar Wochen später im Haus der Jugend, wo mit einem Tag der Offenen Tür das Jugendrechtshaus Oldenburg eingeweiht wird. Ein bundesweites Pilotprojekt, das der Verein „Recht und Gesellschaft“initiiert hat. Hier soll eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche entstehen, die sich juristischen Rat holen wollen oder einen Rechtsbeistand brauchen, weil sie „selber ein Ding gedreht haben“. Das hatte die Vorsitzende des Vereins, Sigrun von Hasseln, jedenfalls im Vorfeld erklärt. Vor allem gehe es darum, zwischen SchülerInnen und Schule, Kindern und Eltern, Jugendlichen und Behörden zu vermitteln – auch bei Auseinandersetzungen, die nach außen banal scheinen mögen. Denn: „Rechtsfragen haben ganz viel damit zu tun, wie das Zusammenleben geregelt ist.“

Viele SchülerInnen seien „überhaupt noch nicht dafür sensibilisiert, daß sie sich nicht alles gefallen lassen müßten“, schätzt Hannah Nauber, die zu den wenigen Jugendlichen gehört, die bereits in das Projekt eingebunden sind. Unter Anleitung von Öffentlichkeitsreferentin Silke Penning hat die 16jährige mit ein paar anderen die Zeitung zum Projekt erstellt. „Jetzt erst Recht“heißt das Heftchen, in dem es auch eine „Rechtsecke“gibt, in der juristischer Rat abgefragt werden kann.

„Wir wollen ein niederschwelliges Angebot machen“, erklärt von Hasseln später auf der Pressekonferenz. Der Kontakt müsse ebenso unbürokratisch und einfach sein wie die Hilfe. Damit sich alle Altersklassen zurechtfänden. Aber auch, um den Zugang zum Thema zu erleichtern.

Recht und Rechtskunde spielen im Schulunterricht eine viel zu geringe Rolle, heißt es um die Ecke in der Aula des Schulzentrums Alexanderstraße, wo eine Runde Professoren, die sichals fortschrittlich verstehen, mit einer Abiturientin über „Erziehung zum Recht“diskutieren – Teil der offiziellen Eröffnungsfeier.

„Und zugleich“, schimpft Fritz Sack, der Hamburger Professor der Soziologie mit Schwerpunkt Kriminologie, „steht immer die Verdächtigung im Raum, die Jugend habe es nicht so mit dem Recht“. Schlagzeilen, Politik- und Medienkampagnen zur angeblich steigenden Jugendkriminalität mit immer brutaleren Auswüchsen forcierten diese Einschätzung. Dabei hätten Jugendliche in der Regel „ein überdurchschnittliches Gerechtigkeitsempfinden“, wie man schon daran sehe, daß sie sich politisch am ehesten für Umweltschutz und Antifaschismus interessierten. Was hat Recht mit Gerechtigkeit zu tun?

„Und was heißt das konkret?“fragt eine Schülerin aus dem Publikum. Es mache keinen Sinn, Gesetze zu lernen, finden die Experten. Die seien ohnehin unüberschaubar und repräsentierten nur den „Machtapparat Staat“.

„Das Verkehrteste wäre Vertrauen in die Justiz“, faßt Roland Makowka zusammen, pensionierter oberster Richter des Landgerichts Hamburg. „Das Beste ist: Man macht einen großen Bogen drum herum.“Alternative: außergerichtliche Konfliktlösungen.

Hier plant das Jugendrechtshaus einen Schwerpunkt. „Wenn jemand wirklich kriminell geworden ist oder auch selber erpreßt wird, suchen wir ihm einen Anwalt“, sagt von Hasseln. Es gebe bereits eine ganze Liste mit Juristen, die kostenlos mitmachen würden – auch wenn das wiederum ein rechtliches Problem werden könnte: Anwälte dürfen eigentlich nicht umsonst arbeiten. Auf eine entsprechende Gesetzesänderung will der Verein politisch hinwirken. „Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, umsonst und unabhängig an Informationen zu kommen.“Auf Dauer hofft von Hasseln aber ohnehin, daß das Jugendrechtshaus frühzeitig eingeschaltet wird und dann schlichtend eingreifen kann. Entgegen der „allgemeinen Panikmache, daß Jugendliche immer krimineller und brutaler“würden, gehe es doch seltener um strafrechtliche Anfragen, sondern eher um „Zoff in der Schule oder mit den Eltern“.

Die einzige haupamtliche Stelle des Projektes – für die Mittel aus dem Fördertopf der Stadt beantragt, aber noch nicht genehmigt sind – soll entsprechend mit einer Sozialpädagogin besetzt werden. Eine Kooperation mit dem Projekt Konfliktschlichtung e.V., das bereits seit Jahren mit Täter-Opfer-Ausgleich arbeitet, ist angeleiert.

So eine Botschaft kann allerdings nicht bei allen ankommen. „Kinder müssen lernen, auch Dinge zu akzeptieren, die ihnen ungerecht vorkommen“, meint Rolf Wernstedt, sozialdemokratischer Kultusminister des Landes Niedersachsen, Schirmherr des Projekts. Nebenbei befindet er sich mitten im Wahlkampf: Ungefähr hundert SchülerInnen hatten ihn vor der Tür abgefangen und ihm herbe Vorwürfe wegen zu hoher Klassenfrequenzen und „falscher Bildungspolitik“gemacht.

Beate Willms