Auferstehung eines Monsters

Indem er seinem Sturz in der Abfahrt den Olympiasieg im Super-G folgen läßt, zementiert der Österreicher Hermann Maier die für ihn vorbereitete Heldenbüste  ■ Aus Hakuba Matti Lieske

Vom Fliegen, das sah man deutlich, hat Hermann Maier vorläufig die Nase voll. Wenige Tage nach seiner Interpretation der menschlichen Kanonenkugel beim olympischen Abfahrtslauf hielt er gestern beim Super-G in Hakuba die notwendigen Sprünge betont flach, sichtlich bemüht, schnell wieder festen Boden unter die Ski zu bekommen.

„Kein perfektes Rennen“, murrte er anschließend selbstkritisch, „aber es hat gereicht.“ Mit Maiers Sieg vor den zeitgleichen Didier Cuche (Schweiz) und Hans Knauss (Österreich) hat eine äußerst seltsame und mit Stolpersteinen gepflasterte Karriere ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Fast besser als an den Sturz in der Abfahrt kann sich Maier an den Tag erinnern, als er seinen letzten Ziegelstein vermauerte. „26. Oktober 1995, drei Uhr nachmittags“, sprudelt es ohne Zögern aus ihm heraus. Damals war er 22 Jahre alt und seine Laufbahn als Skifahrer schien beendet, ohne daß sie je richtig begonnen hatte. Heute ist der Österreicher der größte Kraftprotz im Weltcup-Zirkus, und es scheint kaum vorstellbar, daß er als 15jähriger aus der Skiakademie in Tirol flog, weil er zu schwächlich war. 50 Kilo wog er damals, und beim Slalomtraining schlugen ihm die Stangen die Knie kaputt.

Einer Perspektive im Nationalteam beraubt, arbeitete er als Lehrer in den Skischulen seiner Eltern und erlernte den Beruf des Maurers. Durch die Arbeit auf dem Bau wurde er groß und stark, ein glänzender Skiläufer war er ohnehin. Doch ohne Verbandsunterstützung lief zunächst nichts.

Ein guter Platz bei den österreichischen Meisterschaften 1995, wo er mit einer im Sportgeschäft erworbenen Ausrüstung startete, und vor allem ein Auftrtt bei einem Weltcup-Rennen in seinem Heimatort Flachau, wo er als Vorläufer eine der besten Zeiten fuhr, verschafften ihm dann doch so viel Aufmerksamkeit bei den Trainern, daß er das Mauern aufgeben und sich aufs Skifahren konzentrieren konnte.

Von da an ging es aufwärts. 1997 verpaßte er wegen einer gebrochenen Hand die WM, gewann aber kurz darauf in Garmisch seinen ersten Super-G. In dieser Saison beherrschte er die Konkurrenz souverän, blieb im Super-G ungeschlagen und ist drauf und dran, als erster Österreicher nach Karl Schranz 1970 den Gesamt-Weltcup zu gewinnen.

Austria ist ein neuer Superheld erwachsen, und die Beinamen wie „Monster“, „Herminator“, „The Beast“ oder der allseits berüchtigte „Außerirdische“ prasseln so geballt auf ihn ein, wie es zuletzt nur Miguel Indurain zuteil wurde. Nach Olympia, das dürfte gewiß sein, wird noch „Air Maier“ hinzugekommen sein.

In Hakuba lief es zunächst nicht so gut für den 25jährigen. „Zu Hause haben alle gemeint, ich hole dreimal Gold“, sagte Maier gestern nach seinem Triumph im Super-G, „aber im Kombinationslalom habe ich viele Fehler gemacht, und dann kam der Sturz in der Abfahrt. Der Druck war schon sehr groß.“

Den Gedanken, nicht an den Start zu gehen, habe er durchaus gehabt, denn das rechte Knie und die rechte Schulter würden ihn ziemlich schmerzen. Aber als das Rennen noch einmal verschoben wurde, habe er gedacht: „Ich war so dominant im Weltcup, da muß ich einfach starten.“ Die Frage war, wie er den monströsen Sturz verkraften würde, nicht nur körperlich – dafür nahm er Schmerzmittel vor dem Rennen –, sondern mental. „Mich hat' s auf den Kopf gehauen“, behauptete er, „und dabei den Sturz gleich wieder ausgebeutelt.“ Hinterher hat man gut reden. „Es war gut für mein Gehirn“, sagte also Maier schlicht, „ich war nicht so aggressiv, und das war gut auf dieser Strecke. Die schwierigen Kurven habe ich wunderbar genommen.“

Nach Meinung des Schweizers Cuche war Maier immer noch aggressiv genug. „Es ist phantastisch, was er heute gemacht hat“, lobte er den Sieger, „er muß eine Menge blaue Flecken haben.“ Sein eigener Stil sei zwar ähnlich wie der des Österreichers, aber wenn er sich Videos anschaue, würden ihn immer noch „Welten“ von Maier trennen. „Er steht ungemein sicher auf den Skiern und nimmt sehr große Risiken in Kauf“, sagt Cuche, der selbst einige schwere Verletzungen hinter sich hat. „Ich bin noch längst nicht an meine Grenzen gegangen, und ich bin nicht sicher, ob ich das überhaupt will.“

Bleibt abzuwarten, ob es Hermann Maier künftig noch will. Seinen Sturz hat er sich bisher nicht im Fernsehen angesehen und will es bis zum Ende der Weltcup-Saison auch nicht tun. „Dann würde ich vielleicht Angst bekommen.“ Und das einbüßen, was bisher seine große Stärke war: dort geradeaus zu fahren, wo andere bremsen oder einen kleinen Schlenker einbauen. „Er braucht sich den Sturz nicht anschauen“, gibt Didier Cuche zu bedenken, „er hat ihn erlebt.“