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Splittergruppen beim Splatterfinale

■ Kichernde Gewalt, spritzendes Hirn, gefährlicher Oralsex und ein besorgter Festivalchef: „Kichiku dai enkai“ – ein verzweifelter, terroristischer Film aus Japan mit Katharsisangebot

Seltsame Sachen passieren auf dem Festival. Vor der Vorführung von „Kichiku dai enkai“, dem ersten Film des 24jährigen Kunsthochschülers Kazuyoshi Kumakiri, betrat der gemütlich beleibte Festivalchef Moritz de Hadeln das Podium und hielt eine Rede, die auf Skandalträchtiges deutete. Man habe keine Reklame für den Film machen wollen, um nicht „die falschen Leute“ anzulocken, sagte er. Der Film sei zwar prima, enthalte jedoch etwa eine halbe Stunde sadistischer Szenen, mit denen auch er große Schwierigkeiten habe. Deshalb sei er auf einem Festival in Tokio auch nur in Special Screenings für Journalisten gezeigt worden. In Japan habe man wohl ein anderes Gewaltverständnis, mußtmaßte de Hadeln und legte allen Leuten mit schwachen Nerven nahe, das Kino zu verlassen. Sie würden dann ihr Geld zurückbekommen und auch einen Kaffee dazu: „Don't be afraid to leave“, und „don't complain afterwards“.

„Kichiku dai enkai“, was übersetzt etwa „Gelage der Unmenschen“ bedeutet, handelt von einer linksradikalen Splittergruppe, die nach den Studentenunruhen der 70er Jahre langsam zerfällt. Der charismatische Führer der Gruppe bringt sich im Knast um. Seine Frau, die das Kommando übernimmt, hat zwar kein politisches Programm, dafür aber allerlei sexuell sadistische Obsessionen. Am Ende metzelt man einander nieder.

Die Gewaltszenen kommen terroristisch daher (als Zuschauer ist man immer auf der Seite der Opfer), aber überschreiten nicht unbedingt das Maß amerikanischer B-Splatterfilme aus den 80er Jahren. „Kichiku“ ist sehr terroristisch, verzweifelt, auch haßerfüllt. Die Terroristin wühlt erregt kichernd im Hirn dessen, dem sie gerade den halben Kopf weggeschossen hat. Hirn spritzt gegen eine japanische Flagge. Oralsex ist sehr gefährlich.

Mit der pathetisch inszenierten, erhabenen Gewalt großer japanischer Filme („Ran“ etwa) hat „Kichiku“ recht wenig zu tun. Man könnte den Film auch als wütenden Protest gerade gegen japanische Gewaltrituale lesen. Kichiku ist der einzige japanische Film dieses Festivals, der nicht clean ist; ein Film, der – was selten geworden ist – seine Zuschauer noch unmittelbar berühren will.

Am Anfang will man noch weggucken; gegen Ende kichert man erleichtert. (Das nennt man dann wohl auch Katharsis.) Der Regisseur des No-Budget-Films trug eine Wollmütze mit Troddel und wirkte nach der Vorstellung extrem verschüchtert. Detlef Kuhlbrodt

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