piwik no script img

Wo ist Jesus' Vorhaut?

■ In John Greysons Filmessay „Uncut“ ist Kunst Diebstahl, und alle heißen Peter

Was haben Beschneidung, Urheberrecht und Kanadas Ex-Präsident Pierre Trudeau miteinander gemein? Auf den ersten Blick nicht viel, und auch beim zweiten Hinschauen wollen sich keine zwingenden Zusammenhänge erkennen lassen. Der kanadische Filmemacher John Greyson, schon oft zu Gast beim Panorama, fügt trotzdem zusammen, was nicht wirklich zusammengehört. In seinem jüngsten Film „Uncut“ zelebriert er die hohe Kunst des Schnitts und der Montage. Spielhandlung und Dokumentation, Archivbilder und Interviewsequenzen verflechten sich und ergeben so das, was man gemeinhin filmischen Essay nennt.

Das Alphabet und die Tonleiter als Grundstrukturen künstlerischer Tätigkeit kommen darin ebenso vor wie die Frage, was mit Jesus' Vorhaut im Laufe der Jahrhunderte geschah. Im Mittelpunkt stehen Peter, der Schreiberling, Peter, der Student, und Peter, der mit beiden schlafen will. Daß derselbe Name dreimal fällt, führt mitten hinein in die Thematik von Original, Kopie und geistigem Eigentum, die weite Strecken von „Uncut“ beherrscht. Greyson spricht mit Künstlern, Musikern und Autoren, deren Arbeiten wegen Verletzung des Copyrights Klagen nach sich zogen.

Zwar ist die Figur des Autors längst zu Grabe getragen, doch Erben und Anwälte werden nicht müde, die unterschiedlichen Spielarten des Zitierens gerichtlich zu verfolgen. Parodie, Satire und Bricolage können teuer werden, obwohl Urheberschaft in Literatur, Musik und Kunst als fragwürdige Größe gilt. Dabei sind es oft Einfluß und Geld, die darüber entscheiden, wer was in welchem Zusammenhang benutzen darf. Greyson selbst machte diese Erfahrung mit seinem Film „The Making Of Monsters“, der in Deutschland nicht gezeigt werden darf, da die Brecht-Erben Anstoß an der Verwendung von Liedern aus der „Dreigroschenoper“ nehmen. Daß McDonald's dieselben Lieder zu Werbezwecken einsetzt, macht den Brecht-Nachfahren seit einer außergerichtlichen Einigung nichts aus.

Greyson kombiniert die unterschiedlichen Themenbereiche und Erzählebenen im Wissen darum, daß sich jedes Werk – die eigenen Filme eingeschlossen – gegen den Autor richten kann. Um so erstaunlicher ist es da, daß er sich in der Diskussion im Anschluß an die Vorführung wunderte, warum kalifornische Beschneidungsgegner „Uncut“ für sich beanspruchen. Einen Film gegen Vorhautbeschneidung zu machen, das sei gar nicht seine Absicht gewesen, sagte Greyson – ganz so, als spiele seine Intention eine Rolle. Christina Nord

Panorama: heute, 23.30 Uhr, Filmpalast

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen