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„Hirnprostituierte, niedere Kreaturen“

■ „Hürriyet“ ist die einflußreichste und größte türkische Tageszeitung in Deutschland

Die Europaausgabe von Hürriyet, mit Sitz in Frankfurt, hat eine Gesamtauflage von 160.000 Exemplaren. Allein 107.000 Exemplare verteilen sich auf die drei bundesdeutschen Regionalausgaben (Nord, Süd, Berlin). Für die rund 2,5 Millionen in Deutschland lebenden Türken ist die als national- liberal geltende Hürriyet das meinungsbildende Blatt schlechthin und hat einen der Bild vergleichbaren Verbreitungsgrad. Die Redaktion der Europaausgabe ist seit drei Jahren wirtschaftlich unabhängig von dem Verlag in der Türkei.

Die Popularität der Zeitung resultiert aus der intensiven Berichterstattung über das Leben der türkischen Gemeinden. Betriebsfeiern finden dabei ebensoviel Raum wie Berichte über neueste Personalien und Entwicklungen in den Interessensverbänden der Migranten. Das Gros der Mitarbeiter sind keine ausgebildeten Journalisten sondern Gelegenheitsschreiber. Entsprechend ist das journalistische Niveau der Berichte und Reportagen. Die aus der Türkei nach Deutschland entsandten Profis hingegen sprechen kaum Deutsch und kennen die politischen Verhältnisse des Landes nur oberflächlich.

Die gesellschaftliche Vielfalt der Bundesrepublik findet in Hürriyet kein Abbild. Von Interesse sind fast ausschließlich Themen, die Türken betreffen. Sind sie von allgemeiner Natur, werden sie zu einem türkischen Thema gemacht. Wird etwa in Bonn über die Kürzung von Sozialleistungen diskutiert, vermeldet Hürriyet, daß Türken davon besonders betroffen seien. Das von Deutschland entworfene Bild ist negativ, und das Thema vom Türken in der feindlichen Fremde wird ihn allen erdenklichen Variationen ventiliert. Gleichzeitig fehlt ein kritischer Blick auf die türkische Minderheit.

Eine besondere Rolle nehmen bei Hürriyet, wie bei allen türkischen Zeitungen, die Kommentatoren ein. Die Kolumnisten – in einer Ausgabe kommen bis zu zehn zu Wort – sind Stars, die sich zum Teil täglich zu Gott und der Welt äußern. Kolumnisten sind auf keine verbindliche Blattlinie festgelegt. Die Folge: In einer Ausgabe finden sich durchaus kontroverse Positionen zu einem Thema.

Ein herausragender Kolumnist ist Ertug Karakullukçu, den Die Zeit nicht ganz zu Unrecht als den Karl-Eduard von Schnitzler der türkischen Presse bezeichnete. Von Istanbul aus, wo er als Journalist nahezu unbekannt ist, kommentiert er für die Europaausgabe von Hürriyet die bundesdeutsche Politik aus türkisch-nationalistischer Sicht. In Rage schreibt er sich vor allem, wenn deutsche Politiker und Journalisten sich kritisch zur Menschenrechtspolitik und dem Krieg im Südosten des Landes äußern. Die Liste seiner Opfer ist lang. Cem Özdemir („Er ist der Dolch in unserem Rücken“) gehört ebenso dazu wie die Europaabgeordnete der Grünen, Claudia Roth, und der ZDF-Journalist Ruprecht Eser. Die taz-Autorin Dilek Zaptçioglu bezeichnete Karakullukçu 1995 als „die Schlange türkischer Abstammung“ und alle Türken in Deutschland, die sich türkeikritisch äußern, als „Hirnprostituierte, Scheintürken und niedere Kreaturen“. „Feinde der Türken“ werden an den Pranger gestellt und auch mit Privatadresse, Telefon- und Faxnummer auf der Titelseite präsentiert. Im März 1996 forderte Karakullukçu seine Leser auf, dem „Monitor“- Chef Klaus Bednarz wegen „separatistischer Propaganda eine Lektion zu erteilen“. Bednarz bekam nach Drohungen Polizeischutz. Hürriyet handelte sich für den „Fall Bednarz“ im Mai 1996 eine Rüge vom Presserat ein. In der Folgezeit bemühte sich die Zeitung um moderatere Töne. Doch diese Schamfrist scheint mit dem „Fall Ozan Ceyhun“ zu Ende gegangen zu sein. Eberhard Seidel-Pielen

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