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In Anführungszeichen

Ein schöner, komischer Film über das Filmen und Schreiben: Boris Lehman persifliert die hohe Rede über die Kunst, ohne seinen Gegenstand zu verraten  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Der Titel von Boris Lehmans neuem Film – „Meine gefilmten Gespräche“ – deutet auf eher Langweiliges. Einer der „großen Einzelgänger des europäischen Kinos“, dessen Werke in Cineastenkreisen über erhebliches Ansehen verfügen, spricht mit klugen Menschen über seine Filme. Da will man eigentlich ein Kopfkissen mit ins Kino nehmen. Der Film beginnt dann auch wie erwartet. Lehman, dessen sechsstündiger Film „Babel“ 1992 im Forum gezeigt wurde, sitzt mit sympathisch langen weißen Haaren, Halbglatze, rotem Intellektuellenpullover und Jeans mit einem Filmkritiker in einem Filmkritikerzimmer zusammen. Man spricht über alles und nichts. Die Welt kommt zu Wort und die vergangenen Filme Lehmans. Doch dann kommt – genau in dem Moment, in dem man oje! und o weh! denkt – der Zwischentitel: „Bla Bla.“

„Meine gefilmten Gespräche“ ist ein Sprechfilm, der in einem Niemandsland spielt. Sowohl jenseits der hochkulturell-angeberischen Selbstreflexionen über das Kino, die man im französischen Sprachraum so gerne pflegt, als auch jenseits einer einfachen Persiflierung. Die Anführungszeichen des Gesprochenen stehen in Klammern. Gespräche und kurze Filmausschnitte wechseln einander ab. Gleichzeitig sind „Meine gefilmten Gespräche“ eine Einführung in das Werk des belgischen Filmemachers, der irgendwo zwischen Tagebuch und Dokumentarfilm herumpendelt, der stets ohne Drehbuch arbeitet, immer auf der Suche nach dem Augenblick, den jede Inszenierung notwendig verfehlt. Er möchte Kirschbäume filmen, wenn die Blüten fallen – das klingt nach Zen (der erfindet sich immer wieder neu im Kino), und das klingt ein bißchen ausgelutscht. Doch wie faßt man das Gemeinte in Worte, wenn die Worte halt verbraucht sind? (Man nimmt Anführungszeichen und setzt sie in Klammern, um die pausbäckige Eindeutigkeit der Persiflage zu vermeiden!)

Die Gesprächspartner Lehmans wirken einerseits ein bißchen lebensunsicher, andernteils halt, wie französische Intellektuelle so wirken: sehr redegewandt und beschlagen in der Filmkunst, die hierzulande ja nur noch Special- Interest-Peer-Groups interessiert.

In der tollen Eingangsszene von „Babel“ steht Lehman auf irgendeinem Aussichtsturm in Waterloo und sagt: „Ich weiß nichts zu sagen und habe trotzdem keine Panik.“ Natürlich redet er trotzdem eine ganze Weile, weil er sich eben entschieden hatte, den Film mit sich selbst anzufangen. Er sagt, daß er friere, was man sieht, und daß der, der hinter der Kamera steht, noch mehr friere als er. Das ist ziemlich komisch, berührt aber auch. „Waterloo werde ich überall auf meinem Weg finden.“

Mit jeder Einstellung würde er sein Leben riskieren, sagt Lehman. Oder sagt jemand über Lehman. Eine ausgelutschte Kitschmetapher, doch gleichzeitig stimmt es ja auch. Wer ohne den Halt von Geldern, Drehbüchern, großen Apparaten arbeitet, wer sich selbst so sehr immer wieder thematisiert und in Frage stellt und sich in den Leuten, die er filmt, finden möchte, riskiert sehr viel. Zumal in Zeiten, in denen ein völlig individualistisches, intelligentes, schutzloses Kino nichts mehr gilt; in denen ein Filmer, der von sich sagt, er versuche, dem Handelswert zu entfliehen, er wolle im Film automatisch schreiben, der darauf besteht, unvorbereitet einen Film zu beginnen, und der die Namen der Dinge vergessen will, eher lächerlich wirkt.

Ein Gespräch findet in einer Buchhandlung statt, die passenderweise „L'Imaginaire“ heißt und an das Kreuzberger Antiquariat „Kalligramm“ erinnert. Eine Kamera fährt an den Fassaden einer menschenleeren Straße vorbei. In einem anderen Ausschnitt kommt eine sackleinene Büßerprozession vorbei. Im Französischen klingt „Exotisme“ genauso wie „Ex-autisme“. (Das ist prima.) „Du plantest einen Film mit Orson Welles. Das Drehbuch war ,complètement fou fou fou‘“, erzählt einer, der Orson Welles spielen sollte. Auf dem Bahnsteig eines Kleinstadtbahnhofs spricht Lehman mit einem, der wohl an der Uni arbeitet. Ab und an fährt ein Zug durchs Bild und verdeckt die beiden. „Alles ist echt und doch unecht. Ich diskutiere sonst nicht auf Bahnhöfen“, sagt sein intellektueller Freund. „Das Ergebnis ist enttäuschend. Aber das ist das Abenteuer“, sagt Lehman – nur ein wenig kokett – über seine Filme, die sich um eine seltsame Unmittelbarkeit bemühen. Seltsam, weil sie sich erst durch Aufzeichnungsapparate verwirklichen kann.

Begonnen habe der Film als Persiflage der Cineastengespräche der von Labarthe und Bazin konzipierten, recht berühmten Serie „Cinéastes de notre temps“, sagt Lehman. Dann kam doch was anderes raus. Ein sehr schöner, komischer Film übers Filmen und Schreiben, der den hohen Ton der (gerade der französischen) intellektuellen Rede über Kunst persifliert, ohne seinen Gegenstand zu verraten. Nach dem Film beschließt man dann, sich eine Videokamera zu kaufen und auch einen Film zu machen.

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