: Gar nicht mehr so fuchtelig
■ Eiskunstläuferin Tara Lipinski hat sich ihren Sieg über die Favoritin Kwan redlich verdient
Berlin (taz) – Michelle Kwan mußte als erste in der Gruppe der sechs besten Läuferinnen zeigen, ob sie eines Olympiasiegs würdig ist. Und alle hatten gehofft, daß sie es ebenso macht wie bei den Männern der spätere Sieger Ilja Kulik: eine Leistung vorzulegen, die niemand mehr toppen kann. Tatsächlich zeigte die Amerikanerin ein Programm, das sportlich keine Wünsche offen ließ – außer dem Axel alle Sprünge einwandfrei dreifach – und von der Eleganz her anmutig und schön wirkte.
Als Lohn gab es einmütig 5,9 in der B-Note. Doch bei der A-Note ließ sich die Jury mit im Schnitt 5,8 offenbar noch genug Luft bis zur 6,0, um eine bessere Konkurrentin entsprechend bewerten zu können.
Die drei Sportlerinnen, die ihr in der Konkurrenz folgten – Lu Chen aus China, Irina Slutskaja aus Rußland und Surya Bonaly aus Frankreich –, erfüllten die in sie gesetzten Hoffnungen: Sie verpatzten mehr oder weniger ihre Küren. Es wollte auch gar keiner, daß eine von ihnen das Duell mit der vorletzten Starterin, der puppigen Tara Lipinski aus den USA, störte.
Die kam aufs Eis mit dem Ruf, schon bei den US-Titelkämpfen gestrauchelt zu sein. Es wird nicht wenige gegeben haben, die ihr einen ähnlichen Fauxpas gewünscht hätten – die Eiskunstlaufszene mag eben zuerst die Damen und dann die Sportlerinnen.
Lipinski zeigte trotzdem, was sie kann – und daß sie die Wunschmedaillenordnung nicht kampflos hinnehmen werde. So ästhetisch frauenjournalmäßig lief sie tatsächlich nicht. Aber im Gegensatz zum Vorjahr, wo sie den WM-Titel holte, sahen ihre Bewegungen zwischen den Rotationen nicht übel fuchtelig aus. Sportlich aber war das 15jährige Mädchen aus Sugerland, Texas, nicht zu schlagen: Makellos sprang sie alles dreifach und in Kombination – vor allem öfter als Kwan. Das Preisgericht hatte keine Wahl. Mit 6:3 Stimmen (die Juroren aus den USA, Deutschland und Polen stimmten für Kwan) sicherte sich Lipinski das Gold – woraufhin die Siegerin kreischte, wie zu erwarten war.
Dritte wurde die frühere Weltmeisterin Lu Chen. Ihr Programm brachte sie nur mühevoll über die vier Minuten. Vielleicht wollten die Schiedsrichter auch nur eine mit einer Medaille bedenken, die gewiß keine olympische Zukunft mehr hat. Im Gegensatz zu Lipinski: Die will noch die vier Jahre bis zu den Spielen in Salt Lake City durchhalten, um den doppelten Olympiasieg Katarina Witts (1984 und 1988) zu wiederholen. Möglich, daß man ihr in vier Jahren nicht mehr den heimlichen Vorwurf macht, nicht auszusehen wie eine Nymphe auf Eis – sondern wie ein ziemlich energischer Teenager, der sich redlich Gold verdient hat.
Michelle Kwan wird sich vermutlich auch nicht gleich von einer Revue unter Vertrag nehmen lassen. Die Silbermedaille ist ihr zu wenig. Sie schwor sich schon beim Verlust des WM-Titel 1997: „Ich weiß nicht, wie lange Tara mitlaufen wird. Aber ich werde da sein. Jederzeit.“ JaF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen