: Ein Sieg für Europas Eishockey
Nach dem 1:0 Tschechiens über Rußland im Olympiafinale ist die Illusion von der Überlegenheit Nordamerikas dahin – die besten NHL-Spieler heißen Hasek, Jagr und Bure ■ Von Matti Lieske
Nagano (taz) – Fast jedes Wort auf der Pressekonferenz nach dem olympischen Finale war ein Schlag mitten in die Seele des nordamerikanischen Eishockeys. „Die beiden Topteams dieses Turniers waren im Endspiel“, sagte ungeniert Slawomir Lener, der Assistenzcoach der Tschechen, die durch einen 1:0-Erfolg über die Russen die Goldmedaille gewannen. Rußlands Cheftrainer Wladimir Yurzinow erklärte: „Ich bin sehr glücklich, wie das europäische Eishockey hier gespielt hat.“ Schadenfreude über die dünkelhaften Amerikaner, die das europäische Eishockey als „Spaßligen“ (Yurzinow) betrachten würden.
Die hochfavorisierten Teams aus den USA und Kanada mußten ohne Medaille abreisen, und am Ende des Superturniers blieben alte Bekannte übrig, obwohl deren letztes olympisches Finale 14 Jahre zurückliegt – damals noch als Sowjetunion und Tschechoslowakei.
In Sarajevo 1984 siegte die UdSSR, gestern in Nagano Tschechien. Eine größere Sensation wäre wohl nur gewesen, wenn Deutschland die Goldmedaille geholt hätte. Von den sechs Topteams hatten die Tschechen die meisten in Europa tätigen Spieler dabei, nämlich zwölf. Dem Ruf der NHL als beste Liga der Welt wird dies kaum Abbruch tun, doch die Illusion von der Überlegenheit des nordamerikanischen Hockeys ging auf japanischem Eis in Fetzen. „Wenn man eine Liste der 20 besten NHL-Spieler aufstellen würde, wären sehr wenige Yanks dabei“, hatte USA Today nach dem Ausscheiden des US-Teams nüchtern konstatiert, und hätte hinzufügen können, auch nicht übermäßig viele Kanadier.
Die Stars der NHL sind die Spieler, die auch in Nagano brillierten: Dominik Hasek, der Russe Pavel Bure, der vom Weltverband den Titel des besten Stürmers abbekam, der Finne Teemu Selanne, der die Scorerwertung gewann (vier Tore/sechs Vorlagen), der Russe Sergej Fedorow, der Tscheche Jaromir Jagr, die Schweden Peter Forsberg und Mats Sundin. „Für die Coaches in unserem Team gibt es keine Stars“, sagte jedoch Slawomir Lener und nannte Teamgeist sowie eine geschlossene Mannschaftsleistung als Grund für den erstaunlichen Siegeszug der Tschechen, die nacheinander USA, Kanada und Rußland bezwangen. Ein weiterer Grund, den Lener höflich verschwieg, mag das Trainertrio gewesen sein, dem neben ihm die alten Helden Ivan Hlinka und Vladimir Martinec angehören.
Ihr System ähnelte dem von Inter Mailand unter Helenio Herrera. Ein Catenaccio im neutralen Drittel, ein schier unüberwindlicher Torwart und die Hoffnung, irgendwann ein Tor zu schießen. „Wir haben den Russen ihre Geschwindigkeit in der neutralen Zone genommen“, sagte Hasek später, „das war der Schlüssel.“ Weder Fedorow noch Bure kamen zum Zug, und vom zweiten Drittel an lagen die Vorteile bei den Tschechen. „Wenn ein Schuß in ihrem Netz landet, wußten wir, daß wir eine Chance haben könnten“, sagte Lener.
Der entscheidende Treffer gelang Petr Svoboda mit einem Fernschuß im letzten Drittel, der Rest war Sache von Dominik Hasek (33). „Mein Job ist, den Puck zu stoppen“, kommentierte der beste Keeper des Turniers seine Leistung, „und da wir nur ein Tor geschossen haben, durfte ich keins reinlassen.“ Dann schwärmte der Torhüter der Buffalo Sabres davon, wie großartig es sei, die „vielleicht letzte Chance, etwas Großes zu gewinnen“, genutzt zu haben. „Das ist der glücklichste Tag meiner Karriere.“ Kein Wunder, mit den Sabres hat man gemeinhin nicht allzuviel Anlaß zur Freude.
Der russische Coach war verständlicherweise einigermaßen deprimiert. „Das war nicht das beste Match, das wir hier gespielt haben“, erklärte Yurzinow und übte sich in stalinistischer Selbstkritik: „Ich habe die Mannschaft nicht richtig gecoacht in dieser Partie und muß nun meine Fehler analysieren.“
Vor zwei Wochen wäre der Gedanke, Silber bei Olympia zu holen, „ein Traum“ gewesen, doch jetzt sei die Enttäuschung groß. Die Veranstaltung als solche fand aber auch er äußerst gelungen. „Eine Zelebration des Eishockeys“ nannte er den olympischen Auftritt der besten NHL-Cracks, „die Art von Turnier, die wir hoffentlich auch künftig haben werden.“ Fragt sich nur, ob die Nordamerikaner dann noch kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen