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Ein toter Hund ist übrig geblieben

Innensenator setzte sich durch: Im Berliner Bezirk Lichtenberg wurde das letzte besetzte Haus geräumt. Ein Nachruf  ■ Aus Berlin Uwe Rada

Es ist vollbracht. Ganz Berlin ist besetzerfrei. Ganz Berlin? Ja: kein noch so kleines gallisches Dorf widersetzt sich mehr dem Hoffnungsträger der Berliner Ordnungspolitik. Innensenator Jörg Schönbohm, der Frontmann der Berliner CDU-Rechten, hat ganze Arbeit geleistet. Knapp zwei Jahre, nachdem der ehemalige Staatssekretär im Bonner Verteidigungsministerium die Parole ausgab, Berlin müsse besetzerfrei werden, konnte Schönbohm gestern Vollzug melden. Mit der Pfarrstraße 104 im Ostberliner Bezirk Lichtenberg wurde das letzte besetzte Haus der Stadt gestern nahezu gewaltfrei geräumt. Nur ein Besetzerhund wurde versehentlich erschossen.

Nun war das Ereignis abzusehen, waren die Machtverhältnisse seit langem zurechtgerückt. Auch an symbolischen Wegmarken der Schönbohmschen Räumungspolitik herrschte kein Mangel im Berlin der großen Ordnungskoalition. Bereits im Herbst 1996 wurde mit der Charlottenburger Marchstraße das letzte Haus in Westberlin geräumt. Im November 1997 ließ der Innensenator gleich vier Häuser räumen, darunter auch die Kreutziger Straße 23 in Friedrichshain, deren Bewohner sich mit der Eigentümerin in Kaufverhandlungen befanden. An Gelegenheiten für Nachrufe auf die einstige Hochburg der Besetzerbewegungen hat es „unter Schönbohm“ wahrlich nicht gemangelt.

Nur selten freilich wurde – und wird dieser Tage – in diesen Nachrufen der Horizont des autonomen Schrebergartens verlassen. Die militante Selbstbeschränkung der letzten Besetzer auf die politisch korrekten Verhaltenskodizes der eigenen Gemeinde fand in der beschränkten Berichterstattung der Medien eine adäquate Entsprechung.

Dabei hätte es auch thematische Grenzübertritte geben können. Die Rolle besetzter Häuser und obdachloser Jugendlicher etwa oder der Bedeutung von Freiräumen für eine zunehmende Politik der Versiegelung städtischer Räume. Doch das war weder von den Besetzern noch von den Medien gewünscht. So nimmt es auch nicht wunder, wenn dieser Einengung des Blicks auch ganz andere Themen zum Opfer fallen, die weniger mit einem Nachruf als einem Ausblick zu tun haben dürften.

Im Sommer 1997 hat eine kleine Gruppe von Künstlern und Stadtinitiativen versucht, auf die Zusammenhänge von Ausgrenzung und Privatisierung der Stadt hinzuweisen – mit nur mäßigem Erfolg. Ungleich größeren Erfolg hat dagegen die große Koalition mit der Thematisierung der inneren Sicherheit. Daß der Innensenator zuletzt die besetzten Häuser dafür nicht einmal mehr bemühen mußte, ist freilich nicht nur eine Ironie der Geschichte. Es verweist auch darauf, daß andere nun die Rolle der Sündenböcke eingenommen haben: Graffiti-Sprüher und ausländische Jugendgangs. In Berlin, so lautet die Botschaft Jörg Schönbohms, hat man sich künftig wie ein Vertreter der deutschen Mehrheitgesellschaft zu bewegen – auch wenn und gerade weil diese Schicht mancherorts in Berlin zunehmend in die Minderheit gerät. Wer sich dieser Unterordnung unter die „deutschen Sitten und Gebräuche“ (Schönbohm) nicht fügt, wird geräumt, ausgegrenzt, abgeschoben.

Das ist – als politische Strategie – nichts Neues. Neu ist jedoch die Grabesstille, mit der der Innensenator seine Politik der Ausgrenzung exerzieren kann. Wo Existenzängste – zumal in einer Armutssmetropole wie Berlin – nicht mehr nur für die städtischen Unterschichten in den Mittelpunkt der Alltagswahrnehmung rücken, wird gesellschaftliche Stigmatisierung, die Vorstufe zur Ausgrenzung, zum Katalysator des individuellen Überlebenskampfes. Nur deshalb schließlich kann „innere Sicherheit“, die ja in Wirklichkeit eine äußere ist, als Antwort auf die eigenen Unsicherheiten und Ängste überhaupt wahrgenommen werden. Auf diese Zusammenhänge hinzuweisen – darin hätte eine der politischen Chancen der Besetzerbewegung nach der Wende liegen können. Nicht, um mit autonomem Säbelrasseln eigene Stärke vorzugaukeln, die es längst nicht mehr gab, sondern um am eigenen Beispiel zu zeigen, wie das Zusammenspiel zwischen Anpassungsdruck und Ausgrenzungsdrohung funktioniert. So wird es, die gestrige Räumung des letzten Hauses betreffend, tatsächlich nur bei einem Nachruf bleiben müssen. Dem Ausblick auf die politischen Konsequenzen der Schönbohmschen Räumungspolitik haben sich die Besetzer entzogen. Wenigstens in diesem Punkt waren sie brave Vertreter der Mehrheitsgesellschaft.

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