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Am Neujahrsmorgen 2000 dürfte ein Blick in seinen Computer so manchen Unternehmer auf einen Schlag stocknüchtern machen. Denn der schreibt das Jahr 1900, wenn Wirtschaft und Bundesregierung den „Jahr-2000-Fehler“ nicht entschlossener angehen als bisher Von Niels Boeing

Computer können nicht rechnen

Daß in fast allen Computern weltweit eine digitale Bombe tickt, die auf den 1. Januar des Jahres 2000, null Uhr, eingestellt ist, bestreitet niemand mehr. In Deutschland tickt sie anscheinend nicht laut genug. „Hier wird noch immer nicht öffentlich über das Jahr-2000-Problem geredet“, klagt Frank Sempert, Sprecher der Initiative 2000, in der sich Unternehmen wie SAP, Siemens und Digital zusammengefunden haben. Er und andere Experten aus der Informationstechnik wollen der Öffentlichkeit die drängende Frage morgen auf einem Symposium in Berlin endlich ins Bewußtsein rufen.

Das Jahr-2000-Problem selbst klingt banal: Computer können das Jahr 2000 nicht vom Jahr 1900 unterscheiden. Weil Speicherplatz bis vor wenigen Jahren knapp und teuer war, wurden Jahreszahlen in den meisten Computerprogrammen mit nur zwei Stellen und nicht vierstellig gespeichert. Statt 1998 steht in den Speichern nur 98. Das bedeutet: Der Neujahrsmorgen 00 ist für viele Programme Neujahr 1900 und nicht Neujahr 2000. Die Folgen können verheerend sein: Kreditzinsen und Versicherungsprämien werden vom Beginn des Jahrhunderts berechnet, Verfallsdaten in Datenbanken sind plötzlich um Jahrzehnte überschritten. Bereits im letzten Sommer hatten elektronische Kassen neue Eurocheque-Karten mit Gültigkeitsdatum 00 abgelehnt. Für die Software waren sie bereits 1900, vor 97 Jahren, abgelaufen.

Angesichts dessen raufen sich Experten über die deutsche Schlafmützigkeit die Haare. „In den USA oder in Großbritannien ist man viel weiter“, sagt Ulrich Fröde von Siemens Nixdorf. Dort sind Task Forces gebildet worden, in denen Regierung und Wirtschaft sich gemeinsam um eine Lösung des Problems bemühen. In Holland hat die Regierung die „Millennium Platform“ ins Leben gerufen. Hier werden neueste Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorgestellt, Unternehmen können ihre Erfahrungen mit der Umstellung austauschen.

In Bonn hingegen hält man eine solche Einrichtung nicht für erforderlich. Eine Allensbach-Umfrage, die vor einigen Tagen veröffentlicht wurde, zeigt aber, daß Gelassenheit fehl am Platze ist. Nur 8 Prozent der mittelständischen Unternehmen haben bisher ihre Computersysteme Jahr-2000-fähig gemacht. Weitere 29 Prozent haben ihre Systeme zumindest überprüft. Der Rest hat noch nichts unternommen. Experten gehen davon aus, daß ein Daten-GAU gerade für mittelständische Betriebe das Aus bedeutet.

Beim Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft (BvMW) wundert man sich, daß das Bundeswirtschaftsministerium zwar Informationskampagnen zum Euro startet, über den Jahr- 2000-Fehler aber kein Wort verliert. Darüber die Unternehmen zu informieren sei Aufgabe der Verbände, heißt es aus dem Hause Rexrodt.

Das Informationsangebot der Bundesregierung beschränkt sich auf einige Internet-Seiten des Bundesforschungsministeriums. Nicht viel im Vergleich zu dem, was die britische Regierung auf ihrer Homepage bietet. Darüber hinaus wird auf einen Internet-Bericht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) verwiesen. „In dem steht aber nicht mehr drin, als schon in Magazinen wie PC-Plus zu lesen war“, sagt Ingo Ruhmann, als Informatiker wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Bündnisgrünen.

Daß die Bundesregierung noch nicht einmal ein Konzept für die Umrüstung der rund 100.000 PCs und 130 Großrechner der Bundesbehörden hat, offenbarte sie im letzten Oktober. Die Bündnisgrünen hatten ihr mit einer Anfrage zum Jahr-2000-Problem auf den Zahn gefühlt. „Die Antwort der Bundesregierung war eine Katastrophe“, nimmt Siemens-Experte Fröde kein Blatt vor den Mund. In der Antwort hieß es vage, „einige Ressorts“ hätten Analysen durchgeführt, inwiefern sie vom Jahr- 2000-Problem betroffen seien. Zusätzliche Haushaltsmittel seien nicht vorgesehen, da die zur regulären Wartung der Informationssysteme vorgesehenen Mittel ausreichten. „Das ist Unsinn“, sagt Herbert Weber, Leiter des Fraunhoferinstituts für Software- und Systemtechnik in Berlin. „In der Bundesverwaltung gibt es noch viel handgestrickte Programme. Da kennt man zum Teil nicht mal mehr die Hersteller.“ In den USA werden die Extrakosten für die Bundesverwaltung mit bis zu 30 Milliarden Dollar veranschlagt.

Mittlerweile sei man auch beim BSI dahintergekommen, was für Dimensionen das Jahr-2000-Problem eigentlich habe, so Informatiker Ruhmann. Denn niemand habe bisher einen Überblick, wie anfällig die Informationssysteme in hochsensiblen Bereichen wie Flugsicherung, Bahnverkehr oder AKWs sind. „Jetzt bekommen die Panik, weil sie bei der Bundesregierung damit auf taube Ohren stoßen“, weiß Ruhmann.

In der Wirtschaft haben nicht nur Mittelständler das Problem verschlafen. Auch Konzerne wie Bahn, Post, Commerzbank oder die Bank für Gemeinwirtschaft sind erst spät aufgewacht. „Die haben gerade ihre Bestandsaufnahme abgeschlossen“, sagt Bernd Juris-Diehle von der Software Factory im hessischen Schotten, die Jahr-2000-Wartungen vornimmt. Die Bestandsaufnahme, welche Software nicht Jahr-2000-fähig ist, umfasse aber nur ein Drittel der gesamten Umrüstungsdauer. Der aufwendigste Teil bestünde darin, neue oder überarbeitete Software zu testen und wieder ins Firmensystem zu integrieren. Bei der Commerzbank beispielsweise müßten rund 30.000 Programme überprüft werden. Und nicht nur das: Banken und Versicherungen haben die Daten ihrer Kunden in Millionen von Datensätzen gespeichert. Rund 60 Prozent solcher Datenbanken sollen vom Jahr-2000- Problem betroffen sein.

Firmen, die bisher nichts zur Entschärfung der „Millennium- Bombe“ unternommen haben, bläst jetzt der Wind ins Gesicht. Denn die Jahr-2000-Fähigkeit wird zunehmend zum wirtschaftlichen Gesundheitszeugnis: Banken fordern sie bei Bonitätsprüfungen, Auto- und Pharmakonzerne setzen Zulieferer von softwaregesteuerten Bauteilen und Maschinen unter Druck. Die Kölnische Rückversicherung versichert keine Firmen mehr, die nicht den Jahr-2000- Check gemacht haben.

Das ist vernünftig, denn in Kanada hat der erste digitale GAU schon probehalber stattgefunden. Ein Energieversorgungsunternehmen wollte testen, was Silvester 1999 passieren wird. Die Betriebszeit im Computer wurde auf fünf vor zwölf eingestellt. Ergebnis: Um null Uhr schaltete sich die Stromproduktion ab. Der Fehler wurde erst nach einer Woche behoben.

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