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Lippenstift und Leichenteile

■ Wenn die Klischees laufen lernen: Beate Andres inszeniert die Flugzeugabsturz-Farce Fette Männer im Rock des amerikanischen Erfolgsautors Nicky Silvers am TiK

Wenn kleine Jungs ganz besonders arm dran sind, geben sie im Fernsehen das beste Bild ab. In Nicky Silvers Farce Fette Männer im Rock findet sich der 16jährige Bishop Hogan deshalb samt Mutter Phyllis auf CNN wieder. Als Vater Howard seine Lieben aus dem Flieger steigen sieht, haben sie einen Flugzeugabsturz und fünf Jahre auf einer einsamen Insel überlebt, sich von Lippenstiften und Leichenteilen ernährt, wilde Affen beim Ficken beobachtet und sich über Katherine Hepburn gestritten. Ein ungeplanter Familienurlaub mit üblen Folgen: Zuhause im Wohnzimmer wandeln die Geretteten ihre neuen Angewohnheiten kaum ab. Phyllis spielt mit ihren Schuhen, Bishop beschimpft seine Mutter und schläft mit ihr. Die Überlebenschancen für Howard und seine neue Frau Pam sind gering.

Was wäre, wenn die Klischees zum Leben erwachen würden? Silvers Dreiakter von 1988 sei ein Spiel mit absurden Situationen und klischierten Figuren, sagt Beate Andres, die das Stück im TiK inszeniert. Eine szenische Ausschlachtung alltäglich gewordener Horrormeldungen, voller Zitate aus einer Welt, die sich gerne im bestmöglichen Licht zeigt und mit Vorliebe aneinander vorbeiredet: Die typisch amerikanische Kleinfamilie, der erfolgreiche Filmregisseur, die anspruchsvolle Diva, die schöne junge Geliebte – alles irgendwie bekannt. Die Figuren in diesem Spiel bleiben Karikaturen, kein Charakter und keine Deviation wird tiefenpsychologisch ausgelotet. Eine Farce über Menschenfresser und andere Möglichkeiten, sich in der Psychiatrie wiederzufinden, die nach Angaben des Autors die Zuschauer auch erschrecken und die Witze in Panik verwurzeln soll.

Es sei das schlüssigste und originellste Stück des Erfolgsautors, so Beate Andres. Der heute 38jährige Silver, ein Schüler Charles Ludlams vom New Yorker Ridiculous Theatre und seit 1993 am Off-Broadway etabliert, tendiert sonst eher zum Boulevard, wie im letzten Herbst in der Screwball-Comedy Den letzten beißen die Hunde im Theater in der Basilika zu sehen war. Bei Bishop und seiner schrecklich reizenden Familie habe Silver dagegen sehr genau den Grat zwischen Einfühlung und Denunziation getroffen, meint die Regisseurin. Mit Fette Männer im Rock stellt die Absolventin des Regiestudiengangs, die zwei Jahre am Thalia assistierte, ihre erste eigene Arbeit vor.

Ab Samstag sollen Angelika Thomas, Jörg Holm und Nicola Thomas mit schwarzem Humor „die self-selling-Strategien von drei Vogel-Strauß-Politikern“entlarven. Dirk Ossig führt einen wilden und bösen Jungen vor, der fünf Jahre Ferien zuviel abgekriegt hat. Nur Luft, Sand und Katherine Hepburn – scheint ungesund zu sein. Barbora Paluskova

Premiere: Samstag, 28. Februar, 20.00 Uhr, TiK (Thalia in der Kunsthalle)

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