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Ein Zug nach Nirgendwo

Der deutsche Schlager ist tot, die ironische Revival-Welle wird auch die letzte sein – trotzdem verbreitet die Industrie die Mär vom Schlagerboom. Beim heutigen Grand-Prix-Vorentscheid in Bremen treten Retortenkinder gegen ihren Totengräber Guildo Horn an  ■ Von Jan Feddersen

In keiner Branche wird soviel gelogen wie im Musikbusiness. Das stört im Grunde weder Konsumenten noch Produzenten – weil alle Beteiligten wissen, daß das Geschäft vom Verkauf von Träumen, Projektionen, Wünschen und Illusionen lebt. In der jüngsten Ausgabe vom Musikmarkt, der Verkaufsfachillustrierten des Tonträgergewerbes, heißt es in einer ganzseitigen Anzeige der BMG Ariola für eine neue CD: „Der deutsche Schlager boomt.“ Als Gewährsmann ein Foto von Uwe Hübner, diensthabender Moderator der ZDF-Hitparade: „Das deutsche Hit-Festival“.

Kraß annoncierte Produkte machen skeptisch: Offenbar haben sie Reklame nötig. Und tatsächlich belegen die – nur vage veröffentlichten – Verkaufszahlen, daß nur ein Musiksegment Zuwächse erzielt: Techno. Deutscher Schlager trägt zum Gesamtverkauf am deutschen Markt nur 6,8 Prozent bei, Tendenz stagnierend. Mit über 40 Prozent liegt anglo-amerikanischer Pop an der Spitze.

Bei der Rede vom boomenden deutschen Schlager handelt es sich um eine Lüge – und nicht einmal um eine schöne. Zwar haben private und öffentlich-rechtliche Radios, die ihren Musikteppich vorwiegend mit deutschsprachigen Schlagern knüpfen, gute Marktanteile. Die NDR-Hamburg-Welle aber hat in Hamburg widersinnigerweise weniger Hörer als die NDR-Welle Nord aus Kiel. Der Grund: Die Schleswig-Holsteiner umhüllen ihre Wortbeiträge mit Schlagern von Nicole über Katja Ebstein bis Brunner & Brunner, ihre Kollegen in Hamburg hingegen mit Popmusik, die nur ausnahmsweise deutsch gesungen wird: Sie weigern sich dünkelhaft, auf die Musikstile ihrer meist alten Hörer zu setzen. Der gleiche Sender organisiert seit zwei Jahren die deutsche Vorentscheidung zum Grand Prix d'Eurovision. Er war von Anfang an beflissen, aus diesem Plot wieder ein TV-Ereignis zu machen, das nicht nur die Kukidentgeneration goutiert. Aber erst dieses Jahr ist es seinen Machern gelungen, die großen Musikkonzerne der Republik zu bewegen, einen Beitrag zu diesem Ereignis beizusteuern. Grünes Licht beispielsweise gab die Polydor erst, als die Leute vom NDR versprachen, das Konzept der Sendung vom Schlagerimage zu befreien, sich mehr dem Popmainstream zu öffnen. So kam das Berliner Duo Rosenstolz zu der erhofften Ehre, dabeisein zu dürfen. Mit Schlagern vom Schlage jener Lieder, die beinahe allabendlich über alle TV- Sender präsentiert werden – spießige, kaltschwitzige Volksmusik, die nichts als schlüpfrige Angst vor Lust und Laster zum Thema haben –, soll der Event (heute abend, 20.15 Uhr in der ARD) nichts mehr zu schaffen haben.

Kulthandlungen nur mit Klassikern

Nur scheinbar im Widerspruch dazu steht, daß in München („Ullos Tanzpalast“) oder Hamburg („Golden Pudel Club“) hippe Schlagerparties stattfinden – stets mit dem Anspruch versehen, eine Kulthandlung zu zelebrieren. Als Gäste kommen Menschen, die eher auf einen Rave passen denn auf eine Veranstaltung, die einen Michael Holm und seine Behauptung „Tränen lügen nicht“ hochleben lassen. Gefeiert werden allerdings nur die alten Kämpen, Sänger und Sängerinnen, die ihre Karriere in den sechziger und siebziger Jahren begründeten. Klassiker also wie Rex Gildo („Copacabana“), Tony Marshall („Heute hau'n wir auf die Pauke“), Cindy & Bert („Immer wieder sonntags“), Jürgen Drews („Ein Bett im Kornfeld“), Christian Anders („Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“), Howard Carpendale („Deine Spuren im Sand“), Vicky Leandros („Theo, wir fahr'n nach Lodz“) oder Alexandra („Mein Freund, der Baum“). Letztere wird gerne auf den Plattenteller gelegt, wenn ein Engtanz an der Reihe ist.

Gefeiert wird diese Musik aus einer postmodern geläuterten Stimmung heraus, die erste Kindheitseindrücke an musikalische Kost in Erinnerung ruft: Es sind Festivals der Musik der eigenen Eltern, die wir eigentlich nie wieder hören wollten, Feiern, um sich auf ironische Weise mit dem unterhaltsamen Müll der Kindheit auseinanderzusetzen. Zugleich sind die Parties auch Kritik an der Poprezeption nach Achtundsechzig. Damals galt Musik nur dann als gesellschaftsfähig, wenn sie unverhohlen Kritisches, zu was auch immer, zum Ausdruck brachte – und deutscher Schlager war per definitionem von diesem Gütesiegel ausgeschlossen, weil deutsch und nicht rockig. Da konnte Katja Ebstein noch so sehr Lob verdienen, daß sie mit „Diese Welt“, ihrem Grand-Prix-Lied des Jahres 1971, der Republik den ersten Ökopolitsong in die Ohren kreischte. Schlager waren kommerziell, was lange als schändlich galt: Scheinbar nonprofitables, gymnasiales Geschrummel auf Liedermachergitarren galt als immerhin besinnlich, paßte in die melancholisch- sauertöpfische Grundstimmung viel besser.

Die Schlagerraves mit Schlaghose und Fönwelle sind insofern nur unernst zu verstehen, keineswegs als Bekenntnis zum heutigen Schlagernachwuchs wie Kristina Bach, Claudia Jung, Michelle oder Michael Morgan.

Michael wer? Wenn in zwei Jahrzehnten unsere heutigen Kinder sich auf heitere Art mit der Alltagsmusik ihrer Erziehungsberechtigten auseinandersetzen, werden sie in ihren Klubs vielleicht Wolfgang Petry, möglicherweise Annie Lennox, gewiß aber Sabrina Setlur, Herbert Grönemeyer, DJ Bobo und andere Oldies auflegen. Aber Stefanie Hertel, die tranige Lolita der Volksmusik? Unwahrscheinlich, weil sich stumpfe Herzileinmelodeien erfahrungsgemäß kaum feinsinnig veräppeln lassen.

Die Rede vom boomenden Schlager verhüllt, daß diese Behauptung für das Fernsehen in die Welt gesetzt wurde. Seit den fünfziger Jahren ist es Branchengesetz, daß Tonträger massenhaft vor allem von Jüngeren gekauft werden – Ältere sehen sich ihre Lieblinge lieber im Fernsehen an. Dementsprechend haben TV-Sender, die auf den traditionellen deutschen Schlager setzen, Schwierigkeiten mit der Akquise von Werbepartnern. Mit den konsumzurückhaltenden Älteren im Zuschauerprofil – das weiß kein Sender besser als Sat.1 – ist es ein zähes und undankbares Geschäft.

Die heutigen Schlagerstars heißen Stefan Raab, Blümchen und die Kellys. Gegen diese Einordnung würden sich die betreffenden Akteure wehren. Nicht umsonst hat Peter Maffay nach seinem Erstlingshit „Du“ (1970) alles unternommen, vom Verdacht freizukommen, ein Schlagersänger zu sein. Er sang danach zwar immer noch nichts als Schlager, mithin Pop – also kurze, flüchtige und weniger flüchtige Kommentare zum Alltagsgeschehen, Shortstories, in die sich jeder nach Belieben einklinken konnte –, aber er wußte, daß ein solcher Ruf in Deutschland direkt in die „ZDF-Hitparade“ führt und nicht in die Charts.

In den fünfziger Jahren, als die goldene Zeit des Nachkriegsschlagers begann, war das noch kein Problem. Deutsch mußte sogar gesungen werden, weil niemand englische Texte verstand. Anglo-amerikanische Hits waren in der Originalfassung nur selten so erfolgreich wie ihre deutschsprachigen Cover – Peter Kraus' Interpretation von Elvis' „Heartbreak Hotel“ ist nur ein Beispiel.

Fremdländisches für den Zeitgeist

Später haben deutsche Schlagerproduzenten dann einfach kapitulieren müssen: Deutsch als Sprache des amerikanischen Zeitgeists war unakzeptabel, igittigitt, kaum zu verbinden mit einer Stimmung, die mit Kommiß und schiefem Scheitel links und stranguliertem Habitus nicht auf einen Nenner zu bringen war. Die Kultur der (Nazi-?)Eltern – schrecklich. Wenn schon einer deutsch sang, mußte er fremdländisch aussehen, sozusagen undeutsch daherkommen. Roy Black hätte mit den albinoblonden Haaren eines Heino nie „Ganz in Weiß“ schwelgen können: Latin Lover haben nun einmal dunkle Haare. Sängerinnen wie Siw Malmqvist oder Wencke Myhre kamen wenigstens aus dem als frivol imaginierten Skandinavien – das war noch okay, wie auch die Italienerin Rita Pavone („Wenn ich ein Junge wär'“).

Populär waren Schlagersängerinnen, wenn sie einleuchtende Rollenvorbilder abgaben – wie die zu Ruhm gekommene Siemens- Arbeiterin Manuela („Schuld war nur der Bossa Nova“), die unsterbliche One-Hit-Sängerin Marion Maerz („Er ist wieder da“) oder das Roma-Kind Marianne Rosenberg („Ich bin wie du“). Frauen wie Michelle, Judy Weiss oder Kristina Bach sind bedauernswerte Kinder aus der Retorte, geschichts- und geschichtenlos, austauschbar und ungeeignet, an ihnen Leidenschaften zu entzünden. Ihre Stimmen sind nicht besser oder schlechter als die ihrer Vorfahrinnen – aber wen kümmert das? Es ist ihr Pech, daß niemand mehr naiv an die Reinheit der Liebe, gute Gefühle und beklommene Erregungszustände glaubt – die Sixties sind eben vorbei. Ihre Songs hätten vor zehn oder zwanzig Jahren ebenso gesungen worden sein können – ihren Melodien oder Texten ist die Zeit nicht anzumerken, sie riechen und schmecken nach nichts. Sie sind weder modern noch altmodisch: Und das ist die Garantie dafür, daß ihnen in dreißig Jahren keine liebevollen Bücher wie das von Max & Moritz („Schlager, die wir nie vergessen“, Reclam Leipzig) gewidmet werden: „Was für herrliche Zeiten damals“!

Nur Guildo Horn – der am meisten für seinen Auftritt heute abend mobilisierte – scheint eine Ausnahme. Der Mann, der mit jeder Pose ausdrückt, daß er alle und vor allem sich selbst verarscht, hat das Zeug zur erinnerlichen Figur. Doch er muß mit einem Handicap kämpfen: Horn stilisiert sich selbst zur Ikone. Kult ist aber immer nur das Objekt, das nichts von seinem Status weiß. Eine Kultfigur muß naiv scheinen und darf mit dieser Haltung nicht kommunizieren. Guildo Horn ist insofern der Totengräber des deutschen Schlagers traditioneller Machart. Er hat einen sehr leichten Job.

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