piwik no script img

Die einen trinken, die anderen nippen

Der politische Aschermittwoch der CSU ist auch nicht mehr das, was er unter Franz Josef Strauß war. Die Garde um Stoiber müht sich redlich ab, aber die Begeisterung früherer Tage will nicht mehr so recht aufkommen  ■ Aus Passau Stefan Kutzmany

Jetzt kommt der große Moment. Der kleine, schnauzbärtige Mann im blauen Jeanshemd zieht sich noch mal die rutschende Hose hinauf, aber nur mit einer Hand, schwierig, geht nicht, umgreifen, bloß die Absperrungskordel loslassen, jetzt nicht, gleich ist es soweit.

Er gehört eindeutig nicht dazu, aber trotzdem hat er es irgendwie geschafft, ganz vorne dabeizusein im Foyer der Passauer Nibelungenhalle, in der ersten Reihe neben dieser Menge von großen, breiten Männern mit kleinen Knöpfen im Ohr, er darf mitmachen und den Weg freihalten für die Helden der bayerischen Landespolitik: Erwin Huber, Edmund Stoiber und Theo Waigel. Da kommen sie. Da waren sie. Jetzt sind sie drin. Vorbei. „Der ist gar nicht so groß, der Waigel.“ Kleiner als er selbst.

Bemerkenswert gespalten ist das Publikum bei diesem 46. politischen Aschermittwoch der CSU: Auf der einen Seite sind die kleinen Leute, angereist aus allen Teilen der Republik, alle Jahre wieder. Sie sind zum Biertrinken gekommen, vielleicht nehmen sie noch einen CSU-Regenschirm mit oder ein T-Shirt, eigentlich scheint es ihnen egal zu sein, ob da der Stoiber spricht oder der Waigel oder die Zillertaler Schürzenjäger spielen. Fast wie ein Rockkonzert: Das vordere Viertel der Nibelungenhalle ist mit speziellen Eisengattern abgesperrt, und dahinter drängen sich die Fans, viele in Tracht, und einige schwenken sogar Transparente: „Nach Helmut Kohl CSU-Kanzler!“ hat einer geschrieben. Ein anderer: „CSU muß 50 + X erreichen.“ Jenseit des Gatters sitzen die anderen, die schnieken Konservativen in maßgeschneiderten Trachtenjankern, nippen am Bier und nicken zu den Ausführungen Waigels, wenn das feiste Volk auf den hinteren Plätzen säuft und jolt. Der Einzug war nicht optimal: Zum bayerischen Defiliermarsch wurde kaum auf den Tischen getanzt. Auch Erwin Hubers Anheizerrede zieht nicht so recht, denn daß „die CSU und Bayern die Nummer eins“ sind, das weiß hier sowieso jeder, und viele Male werden sie es noch hören, bis die letzte Maß gekippt ist. Schon bei der Begrüßung Hubers zeichnet sich die Sympathie-Hierarchie ab: Landesvater Stoiber bekommt wesentlich mehr Applaus als der Bonner Finanzminister Waigel. Vielleicht wird dieser deswegen so früh heiser in seiner einstündigen Rede, bei der „nicht gelogen wird wie in Saarbrücken“. Während Stoiber erst mal Brotzeit macht, schimpft Waigel über eine Münchener SPD-Abgeordnete. Die hätte verkündet, die Koalition hätte den Opferanwalt abgelehnt, aber nicht mit Waigel: „Das ist eine glatte Lüge!“, bellt er ins Mikrofon. „Wir wollten den Opferanwalt!“ Doch, es wird geklatscht, aber Opferanwalt? Was ist das überhaupt? Volksnähe will nicht aufkommen, auch nicht mit einer arg herbeizitierten Anekdote, die laut Waigel „von Karl Valentin stammen könnte“. „Sagt ein Niederbayer zum anderen: „Bist du eigentlich schon einmal auf einer SPD-Versammlung gewesen?“ „Nein“, sagte der andere. Meint der erste: „Dann müßtest du doch den Schorsch kennen, der war auch noch nie auf einer SPD- Versammlung!“ Auch kein wahrer Schenkelklopfer.

Ob Waigel nun zur Bundeswehr steht, die er nicht als rechtsradikal oder mordend beschimpft wissen möchte. Ob er die Bauern nicht im Stich läßt, denn mit wem sollen die denn reden, gegen wen sollen die denn demonstrieren, wenn nicht gegen die CSU? Ob er gegen den Bonner Koalitionspartner FDP stichelt („In Deutschland wird sie gebraucht, in Bayern vermißt sie keiner!“) – Zustimmung ist da, Begeisterung fehlt. Ganz anders beim aggressiven Redner Stoiber. Deutschland sei inzwischen das Rückzugsgebiet der italienischen Mafia geworden – deshalb Lauschangriff! Applaus! Alle Bundesländer außer Bayern wollen demnächst genaue Täterbeschreibungen verbieten – da darf man als Polizist nicht einmal mehr protokollieren, ob der Verdächtige nun Schlitzaugen hat oder schwarz ist oder ein Eskimo! Hoho! „Und ich sage es noch einmal: Wir machen diesen Unsinn nicht mit!“ Jawoll! Und überhaupt, Asylbewerber: „Auch die Nächstenliebe kann uns nicht dazu bringen, jeden kriminell eingeschleusten Ausländer aufzunehmen.“ Wo er recht hat, hat er recht, denn wohin fließen die „Steuergelder der kleinen Leute?“ Ins Asyl. Was dann ja auch zur Nagelprobe europäischer Solidarität wird. Und irgendwann kommt es gar nicht mehr darauf an, was Stoiber eigentlich sagt, nur noch die Schlußworte seiner Sätze sind in der entfesselten Nibelungenhalle zu verstehen: „... Der hat sie nicht mehr alle!“ Wahrscheinlich Lafontaine. Egal, klatschen. „... Mit uns nicht!“ Wird schon so ein Unsinn sein. „Noch Bier!“

Nein, dieser Ruf kommt nicht von Stoiber, sondern vom Nebentisch, und da kommt auch schon die Kellnerin. Glasigen Auges erheben sich die glücklichen kleinen Leute, Standing ovations für Stoiber, „Bayern ist die Nummer eins“ – und die CSU sowieso. Bayernhymne, Deutschlandlied. Schluß. Verkauft wurden zirka 60 Regenschirme à zehn Mark.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen