: Theoretiker kollektiven Handelns tot
■ Mancur Olson erklärte plausibel die übliche Interessenpolitik mit dem Egoismus des Einzelnen. Er starb an Herzinfarkt
Berlin (taz) – Er hat viele Politologen zur Weißglut gebracht. Mancur Olson, Ökonom an der University of Maryland at College Park, ging davon aus, daß der Mensch auch im politischen Leben als ein egoistischer Maximierer persönlichen Nutzens auftritt. Olson hat dies nicht moralisch verurteilt, sondern wissenschaftlich nutzbar gemacht. Als maßgeblicher Vertreter des „Public Choice“-Ansatzes beschrieb er plausibel die „Logik kollektiven Handelns“ (1965) und den „Aufstieg und Fall von Nationen“ (1982) – seine beiden wichtigsten Publikationen. Viel mehr hat der Oxford- und Harvard-Absolvent nicht geschrieben, dennoch war seine Wirkung immens.
Der Erklärungswert seiner Theorie der Neuen Politischen Ökonomie für die Verhandlungsmacht kleiner organisierter Gruppen ist unbestreitbar. Olson erläuterte, daß etwa wenige Müllmänner oder Fernfahrer mit ihren Aktionen eine weitaus höhere Schlagkraft besitzen als etwa viele Verbraucher oder Arbeitslose. In Fortschreibung dieser Theorie von Interessengruppen hat Olson zu erklären versucht, wie sich das auf die Innovationsfähigkeit von Nationen auswirkt.
Der zähe Prozeß der Erneuerung im Kommunikationssektor der Bundesrepublik ist Beispiel für die Stimmigkeit des Ansatzes. In enger Kooperation zwischen dem staatlichen Monopolisten Bundespost und den sogenannten „Amtsbaufirmen“, den abonnierten Zulieferern des Gelben Riesen, hatte sich in der deutschen Kommunikationsbranche Schläfrigkeit breitgemacht. Die Revolution des Telefonmarktes mit mobilen Apparaten, mit Computernetzen und neuen Informationsdiensten kostete die rückständige Industrie Zehntausende von Arbeitsplätzen.
Für eine polit-ökonomische Weltformel taugten Olsons Thesen jedoch nicht. Die immense Verhandlungsmacht etwa eines Bauernverbandes ist für ihn nicht erklärbar – für Einflußgrößen wie Geschichte oder Kultur ist der „Public Choice“-Ansatz blind.
Das Sympathische an dem 66jährigen Ökonomen war, daß er zwar sah, wie sehr „Zusammenschlüsse und Organisationen für kollektives Handeln“ moderne Gesellschaften prägen. Einer obskuren Gefährdungstheorie für den Staat durch solcherlei zersetzende „Assoziationen“ – wie sie etwa Carl Schmitt mit Erfolg unter den Deutschen verbreitete – enthielt er sich. Olson arbeitete lieber in Entwicklungsprojekten über den ganzen Globus mit. – Gestern wurde bekannt, daß Mancur Olson bereits letzte Woche an Herzinfarkt verstarb. Christian Füller
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