piwik no script img

Barrikadenbau für Anfänger

■ Baden-Württemberg feiert die Aufstände von 1848/49 mit über 560 Veranstaltungen: Mit Briefmarkenausstellung, Plakatwettbewerb und Kochkurs für revolutionäre Sonntagsbraten

„Die Revolution kommt“, heißt es in Rot auf dem Plakat, das ins Karlsruher Schloß zur zentralen Ausstellung Baden-Württembergs über die Revolution von 1848 einlädt. Sehr viel kleiner steht unten: „1998 ins Museum“.

Diese Zweideutigkeit durchzieht die gesamten Revolutionsfeierlichkeiten. Einerseits sind die Badenser „saumäßig“ stolz auf ihre Geschichte, waren sie damals doch mit Abstand der radikalste, aufmüpfigste, mutigste Volksstamm der Deutschen. Drei Aufstände zettelten ihre Anführer Hecker, Struve und Goegg an, bis sie im Sommer 1849 von den preußischen Truppen endgültig niederkartätscht wurden. Andererseits wissen sie sichtlich nicht, was sie mit diesen Erfahrungen anfangen sollen. Und ihre Landesregierung im württembergischen Stuttgart hütet sich, deutliche Worte zu formulieren. Man feiere ein Ereignis, „das für die spätere demokratische Entwicklung in Deutschland von besonderer Bedeutung sein sollte“, schreibt Ministerpräsident Erwin Teufel im „Revolutions-Almanach“. Allein darin sind mehr als 350 Veranstaltungen in 110 Städten und Gemeinden aufgeführt. Insgesamt sind es über 560.

In Gernsbach konnte man bereits Ende 1997 einen Kochkurs „Revolutionärer Sonntagsbraten – Essen und Trinken in Baden“ absolvieren. In Freiburg wird neben Volkshochschulkursen, Symposien und Exkursionen zu Originalrevolutionsschauplätzen im Juni die Briefmarkenausstellung „Regiophila '98“ absolviert, mit Militärpost und Flugblättern von 1848. Die damalige liberale Hochburg Mannheim verwandelt sich im April zum modernen Abenteuerspielplatz: Das Volk darf die „Mannheimer Volksversammlung“ nachstellen, und auf der Rheinbrücke gibt es „Barrikadenbau für Anfänger“. Wenige Tage später folgt der Vortrag „Analyse der vorrevolutionären Situation“ und im August das „Revolutionäre Strandbadfest“. Schön auch der Titel einer Tagung im Oktober in Pforzheim: „Bewältigungen und Nachwirkungen einer Revolution“. In Singen wird im April ein „Bunter Abend für Revolutionäre“ gegeben, am 1. Mai demonstriert der DGB unter dem Motto „1848/9“. Und in Wehr lädt der örtliche Fachwart für Heimatpflege zu einer 27-Kilometer- Wanderung zum Schauplatz des letzten Gefechts Friedrich Heckers ein. Für Auswärtige noch bequemer ist das „Pauschalangebot Auf den Spuren der Revolution“, das der Schwarzwälder Luftkurort Gernsbach, im Juni 1849 Schauplatz der endgültigen Niederlage der Aufständischen, von Mai bis August anbietet: „Zwei Übernachtungen mit Frühstück, Samstag vormittag Stadtführung Baden-Baden, Samstag abend Eintrittskarte für ,Freiheit‘ – ein Glas Sekt, Sonntag vormittag Stadtführung Gernsbach mit Revolutionsrundgang.“

Die Bausparkasse Badenia und das Stuttgarter Wissenschaftsministerium rufen zum Kurzfilmwettbewerb „Für die Freiheit streiten“ auf. Das Badenwerk und die Geschäftsstelle Revolution des baden-württembergischen „Hauses der Geschichte“ laden die Schülerinnen und Schüler zu einem Plakatwettbewerb. Selbige Geschäftsstelle, im geschäftstüchtigen Stuttgart angesiedelt, hat laut ihrem „Info-Brief“ aber noch viel mehr auf Lager: „Preußische Pickelhauben zu vermieten“, für 35 Mark pro Woche und Helm. Außerdem: „T-Shirts, Caps, Pins, Kaffeebecher, Uhren, Medaillen, Freiheitsbier und Freiheitswein, den Apfelsekt ,Rebell‘, den Spätburgunder ,Roter Hecker‘ und verschiedene Broschüren.“ Wer mehr erfahren will, wende sich an die „Revolutions-Hotline“: (0721) 9264849. Oder ans Internet: http://www. Revolution 1848–1849.de.Ute Scheub

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen