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Der Comandante befahl: Schluß!

Fidel Castro verdammte Tomás Gutiérrez Aleas „Guantanamera“ als „konterrevolutionäres Filmchen“. Kubas Kulturschaffende fürchten einen Kulturkampf  ■ Von Reynaldo Escobar

Die noch unpublizierte Rede Fidel Castros auf der Sitzung des kubanischen Parlaments verbreitet in diesen Tagen Angst und Schrecken auf Kuba. Nicht etwa, weil darin eine neue Wirtschaftsmaßnahme angekündigt worden wäre, sondern weil ihm an einer Stelle in jenen vom Staatsfernsehen live übertragenen sieben Stunden und 35 Minuten in den Sinn kam, seine Abneigungen in Sachen Film und Kultur kundzutun; und ausgerechnet den Film „Guantanamera“ verdammte er als „konterrevolutionäres Filmchen“, das zu bekämpfen sei; nicht solche Komödien brauche man, sondern Filme, die den Heroismus und die Errungenschaften der Revolution feiern.

Nur ist „Guantanamera“ nicht irgendein Film, sondern der letzte Film, den Tomás Gutiérrez Alea, der große alte Mann des kubanischen Films, vor drei Jahren gedreht hat, kurz vor seinem Tod. Und bis zu dieser vernichtenden Rede Fidels waren Werk und Persönlichkeit Aleas das stolzeste kulturelle Aushängeschild der kubanischen Revolution.

Tomás Gutiérrez Alea war das personifizierte Argument, daß auf „Cuba Socialista“ keineswegs eine alles lähmende politische Zensur herrscht. Es reichte, auf Werke wie „Tod eines Bürokraten“ (1966), Aleas Klassiker „Erinnerungen an die Unterentwicklung“ (1968) oder auf den auch in Europa so populär gewordenen „Erdbeer und Schokolade“ (1993) zu verweisen, um kundzutun, daß kritische Kunst innerhalb der Revolution sehr wohl möglich ist. Wer in Kuba fehlende künstlerische Freiheit beklagte, dem konnten die Verfechter des Systems entgegenhalten: „Was dir fehlt, ist nicht Freiheit, sondern Talent! Sieh dir Alea an, der ist kritisch und revolutionär!“

Der Comandante en Jefe der kubanischen Revolution hat sich jetzt den Luxus geleistet, diese Figur auf einem Silbertablett und post mortem der Oppostion zu überreichen.

Diese Willkür der Macht würde nicht die gleiche Angst verbreiten, wenn es in Kuba nicht ein „graues Jahrfünft“ (1971 bis 1976) gegeben hätte, in dem die Kultur verwaltet wurde, wie man mit einem Stall BSE-befallener Rinder umgeht, immer auf der Suche nach den von der Seuche befallenen Tieren, die es zu beseitigen gilt. Und sie hätte auch nicht die gleiche Bedeutung, wenn es nicht 20 Jahre gebraucht hätte, um in geduldiger und mühsamer Arbeit die verheerende Intoleranz zu überwinden, die beinahe jegliche Spur von kritischer Kunst in Kuba ausgerottet hatte. Und es war das Werk von Alea, das der sichtbarste Ausdruck für diese – wie sie hieß – „neue Kulturpolitik“ der Revolution war.

Bei seiner Premiere vor drei Jahren genoß der jetzt von Castro attackierte „Guantanamera“ die Sympathien des Publikums und der Kritik; gleichwohl herrschte breite Übereinstimmung, daß es „weder der beste noch der gewagteste Film“ von Alea war. Er erzählt von den Tücken bei der Überführung eines Toten von einem Ende der Insel zum anderen, bei der die Bürokratie an jeder Provinzgrenze den Wechsel des Leichenwagens verlangte. Das kubanische Publikum, das damals über den Film gelacht hat, erlebt nun mit Schrecken die symbolische Überführung des toten Filmemachers aus dem Pantheon der Revolution auf den Müllhaufen konterrevolutionärer Propaganda.

Das direkte Opfer von Castros Attacke ist Alfredo Guevara, der Präsident des nationalen Filminstituts ICAIC, der seit je als graue Eminenz der moderaten Kräfte und als persönlicher Freund Fidel Castros gilt. Alfredo, wie er nur genannt wird (vielleicht, um ihn von jenem anderen Guevara abzusetzen), hatte das Filminstitut immer zum Symbol für die Toleranz der Revolution erhoben. Frontal in Frage gestellt ist aber auch Kulturminister Abel Prieto, „der Langhaarige im Politbüro“, der erst jüngst die herrschende Kulturpolitik programmatisch so definiert hatte: „Wer in der Kunst Schmeichelei erwartet, pseudopädagogische Werke, simple Schemata, in denen das Gute das Böse besiegt (...), der wird enttäuscht werden.“ Die Satiregruppen, die Castro in seiner Rede auch explizit angegriffen hatte, haben mit einem Witz geantwortet: „Wenn man uns bestrafen will – bitte mit Exil!“

Es gibt Opfer, doch kaum Nutznießer der Rede Fidel Castros, auch nicht jemand wie Jesús Diaz, ein dissidenter Schriftsteller, der jetzt in Madrid lebt und die erste Nummer seiner Zeitschrift Encuentro der Würdigung Tomás Gutiérrez Aleas widmete. Damals sahen die Funktionäre in Kuba darin eine Art „Entführung“ Aleas an das Ufer der Opposition und reagierten voll Wut; heute müssen sie sich vorstellen, wie Jesús Diaz zufrieden sagen kann: „Danke, Fidel, jetzt haben wir es mit Brief und Siegel, daß Alea uns gehört.“ Castros Attacke sehen viele auf der Insel als Warnung an all jene, die sich zu sehr gefreut haben über die Freizügigkeiten während des Papstbesuchs. Unvergessen ist, wie der Bischof von Santiago de Cuba so weit ging, vor laufenden Fernsehkamers gegen die „falschen Messiasse“ zu predigen, die „das Vaterland mit einer Partei verwechselt haben“. Wer so denkt, für den ist das Fest für beendet erklärt; wie autoritäre Väter ihre Kinder bestrafen, wenn sie sich bei dem Besuch von Gästen schlecht benommen haben, ist jetzt die Stunde der Ohrfeigen gekommen.

Doch die überragende Nachricht der Parteizeitung der vergangenen Tage war das, was nicht in ihr stand: daß die Rede Fidels wieder nicht abgedruckt worden ist. Statt dessen kündigte der Präsident des Filminstituts auf einer Pressekonferenz ein nationales Filmfestival aus Anlaß des 39. Jahrestags der Institutsgründung an. Keiner der kubanischen Journalisten stellte eine Frage zu der Rede Castros; es bedurfte der Frage eines ausländischen Korrespondenten, damit Alfredo Guevara eine vorbereitete Erklärung verlesen konnte. Nach einem umfassenden Glaubensbekenntnis zu dem innig verehrten Comandante en Jefe erklärte er darin das Ganze zu einem Mißverständnis aufgrund mangelnder Kommunikation, nimmt jedoch nichts von seiner bisherigen Linie zurück. Natürlich ist auch diese Erklärung nie in der kubanischen Presse erschienen.

Viel steht auf dem Spiel, und erst in den kommenden Wochen und Monaten wird man die Konsequenzen der Rede Castros sehen. Druckt die Parteizeitung schließlich doch noch den Text? Und verwandelt sich dann das Wort Fidels, wie so oft, in das Gesetz der Politik? Werden der Leiter des Filminstituts oder der Kulturminister geschaßt? Oder ist eine öffentliche Rücknahme des Frontalangriffs auf Kubas Kultur möglich? Welche Filme werden auf dem angekündigten Festival zu sehen sein? Oder verschwindet am Ende die Rede im Vergessen, und man einigt sich darauf, so zu tun, als ob es sie nie gegeben hat? Wird die jüngste Rede Castros zum Symbol für die Willkür und Allmacht des Comandante – oder im Gegenteil zum Zeichen für deren Grenzen?

Zu hoffen ist, daß man dieses Kapitel nicht mit den Worten des Sängers Carlos Puebla beenden müssen wird, der in den 60er Jahren den Radikalismus der Revolution, ohne jede Ironie, mit den Worten besang: „Aus ist's mit der Vergnügerei – gekommen ist der Comandante, und er hat befohlen: Schluß!“

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