■ Schröders Wahlkampf eröffnet den Bündnisgrünen neue Chancen
: Das personalisierte Vakuum

Ganzseitig, grinsend und ganz allein springt er den Leser der überregionalen Presse an – Gerhard Schröder mit dem Wahlprogramm der SPD: „Ich bin bereit.“ Kein Doppelkopf mehr, keine Troika oder gar eine Mannschaft. Daß Schröder schon lange zu allem möglichen bereit ist, ist bekannt, trotzdem ist das Programm der SPD jetzt rund – ICH BIN BREIT. Seit Sonntag abend lacht nicht mal mehr jemand darüber.

Fieberhaft wird nun in der CDU überlegt, ob Helmut Kohl der personalisierten Megabotschaft der Konkurrenz noch im Alleingang etwas entgegenzusetzen hat. Die Union, so hört man, versucht es dieses Mal vielleicht mit einer Troika und hievt noch Schäuble und Waigel mit aufs Plakat. Noch härter trifft es die FDP. Der Parteiführung ist bewußt, daß die markanten Züge des Herrn Gerhardt die Liberalen nicht über die Fünfprozenthürde bringen werden. Guido Westerwelle wird sich da noch was einfallen lassen müssen. Vielleicht bringt die FDP ihre Ahnenreihe auf die Werbetafeln, schließlich ist Heuss immer noch bekannter als der amtierende Vorsitzende.

Die Unruhe macht offensichtlich auch vor den Grünen nicht halt. Müssen wir nicht jetzt auch, wird gemunkelt. Schließlich haben wir, im Gegensatz zu anderen, wenigstens ein vorzeigbares Gesicht. Ohne Joschka zu nahe treten zu wollen: Tut's nicht! Das ist keine Frage von politischem Purismus, sondern von Stil und politischer Vernunft. Es wäre doch wirklich langweilig, wenn die Grünen jetzt auch noch so täten, als hätten sie gar nichts zu erzählen.

Zugegeben, der kommende Wahlkampf wird schwer werden und sich hauptsächlich darum drehen, ob Schröder der richtige Jungbauer auf dem Erbhof Kohl ist. Gegen diese geballte Macht von gnadenloser Personalisierung und dem Einsatz erheblicher Wahlkampfmittel ist schwer anzukommen. Trotzdem gibt es eine gute Chance. So sehr der Wahlkampf in Deutschland sich auch amerikanisieren mag, es weiß doch jeder, daß im September nicht über einen Präsidenten abgestimmt wird und Kohl sowenig wie Schröder allein eine Regierungschance hat. Die Schlichtheit der Schröderschen Kampagne läßt den Grünen Raum, zu sagen, was sie außer ihrer Bereitschaft, die Bürde der Macht zu tragen, sonst noch wollen.

Erstmals seit Gründung der Partei hält eine Mehrheit der Bevölkerung eine Beteiligung der Grünen an einer Bundesregierung für möglich oder wahrscheinlich. Jetzt wollen die Leute tatsächlich wissen, wofür die Bündnisgrünen stehen. Gerade die Grünen haben in den kommenden Monaten die größten Chancen seit ihrem Bestehen, ihre Inhalte über ihr Stammpublikum hinaus bekannt zu machen. Endlich wollen die Leute wissen, ob sie wirklich nach der Wahl fünf Mark für Benzin zahlen sollen. Und die Wahlkampfveranstaltungen der kommenden Monate bieten die Möglichkeit, darüber zu diskutieren, ob die Grünen aus der Nato aussteigen und die Bundeswehr auflösen wollen.

Endlich wird es die Gelegenheit geben, mit einer breiten Öffentlichkeit über die Stolpersteine der grünen Programmatik zu streiten. Und da sich nun abzeichnet, daß die SPD weitgehend auf inhaltliche Kontroversen verzichten wird, können die Grünen das Vakuum füllen und damit auch tatsächlich Aufmerksamkeit erregen. Das am Dienstag bekannt gewordene Regierungsprogramm der Sozialdemokraten läßt genügend Fragen offen.

Das ist kein Plädoyer dafür, potentielle Wähler mit einem 200-Seiten-Programm zu verschrecken. Es reicht völlig, zu sagen, welche wichtigen Zukunftsfragen offen sind, von welchen Illusionen die Deutschen sich vermutlich verabschieden müssen, welche Spielräume für Politik dennoch existieren und wie eine rot- grüne Koalition in Bonn sie nutzen will. Das ist Zündstoff genug.

Auf Personalisierung muß man deswegen ja nicht ganz verzichten. Als die Frankfurter Grünen im letzten Kommunalwahlkampf ihre Babyfotos plakatierten, war ihnen eine hohe Aufmerksamkeit sicher. Aus Joschkas bewegtem Leben lassen sich sicher auch noch ein paar aufsehenerregende Fotos finden. Jürgen Gottschlich