: Eiskalte Tiefgarage Schottland
■ Etwas zu hoch hinaus: Im Millerntorhochhaus wird „Macbeth“als Comic inszeniert
Hochhäuser sind groß, Herrscher sind groß, Erfolg ist groß. Ideen sind auch groß. Manchmal sind Ideen sogar größer als Hochhäuser. Und manchmal, leider, auch größer als ihre erfolgreiche Umsetzung.
Shakespeares Macbeth ist ein Drama über Macht und Machtgeilheit, die am Ende nicht ins Glück, sondern ins Verderben führen. Der Feldherr hat im Auftrag seines Königs gerade erfolgreich aufständische Vasallen niedergeschlagen, da prophezeihen ihm drei Hexen seine Beförderung zum Than von Glamis und Cawdor. Dieses Glücksversprechen führte im 11. Jahrhundert nicht anders als zur Zeit seiner Dramatisierung, dem 17. Jahrhundert, dahin, wohin es Erwählte heute verleitet: zur Gier nach mehr. Wer Than wird, denken sich Macbeth und vor allem seine Gattin, kann auch König werden. Das einzige Hindernis, was dem Aufstieg im Weg steht, ist der König selbst, doch läßt sich dieser mit einem Dolch schnell aus dem Weg räumen. Ein nächtlicher Stoß unter Freunden, und die Stufen zum Erfolg sind frei.
Wer heute hoch hinaus will, muß keine Stufen mehr klettern. Der Himmel der Macht heißt Chefetage, und dorthin führen Fahrstühle. Im neuen Millerntorhochhaus sind es sogar drei, obwohl es dort gar keine Chefs gibt: Der postmoderne Klotz steht seit seiner Fertigstellung leer. Der Einfall Michael Bandts, Regieschüler des Instituts für Theater, Musiktheater und Film und Regieassistent am Schauspielhaus, das zehngeschossige Gebäude als Theaterraum zu nutzen und seine Initiative, die Investoren über die zur Verfügungstellung der Räume hinaus zum Sponsoring des Projekts zu bewegen, verdient eine hanseatische Theatermedaille. Klasse ist auch das Konzept, das Haus nicht nur zu bespielen, sondern gleichsam zu inszenieren: Die Geräusche der Lüftungsschächte werden zu Klangcollagen verarbeitet, die eiskalte Tiefgarage begrüßt als Schottlands Katakomben, Fahrstuhltüren geben wie auf einer Geisterbahnfahrt plötzliche Blicke auf skurrile gestellte Figurentableaux frei. „Erlebnistheater heißt das“, bemerkte eine Frau aus dem Publikum bei der Premiere am Sonntag fachmännisch. Schade nur, daß die wesentlichsten Fragen, die so ein Theater aufwirft, solche sind wie: „Ob die jemanden engagiert haben, der den Aufzugknopf drückt?“
Bandts Inszenierung gelingt es nicht wirklich, spannender als das Betongerippe zu sein. Zieht Verena Unbehauns Prolog im dunklen Lichthof mit kapellenhafter Akustik noch auf geheimnisvolle Weise in den Bann, bemühen sich Matthias Pantel (Macbeth) und Thomas Wodianka (Banquo) gleich, in erster Linie große Jungs zu spielen. Mit dem Auftritt des Königs und seines Sohnes, der eine schwul, der andere wienernd, sind die Weichen zur Farce, zur Burleske gestellt. Ein „Endzeit-Comic“soll das sein, doch einen Macbeth ohne tragischen Konflikt rettet weder eine „Disch!“-Lautmalerei beim Töten noch ein Nadelstreifenanzug im 10. Stock. Versöhnlich stimmen Bar, Beton und die Lichter St. Paulis: Ein Erlebnis ist das schon.
Christiane Kühl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen