piwik no script img

„Das System verschluckt sich selbst“

■ Karlina Leksono, Mutter zweier Kinder und Angehörige der Mittelschicht, steht in Jakarta wegen Protests gegen die Preiserhöhungen vor Gericht

Die Astronomin und Feministin Karlina Leksono (40) arbeitet in einem Institut des künftigen Vizepräsidenten B.J. Habibie. Im Februar gründete sie die Gruppe „Stimme besorgter Mütter“.

taz: Warum sind Sie auf die Straße gegangen?

Karlina Leksono: Es kommt der Moment, wenn man sagen muß: Jetzt reicht's! Es geht nicht nur um Politik, sondern darum, daß wir unsere Familien ernähren können.

Sind Sie also unpolitisch?

Wir wollten nicht nur Parolen rufen, sondern wirklich den Armen helfen. Zuerst sammelten wir Geld, um Milchpulver verbilligt an arme Familien zu verteilen. Aber das war uns nicht genug – wir hatten das Gefühl, wir mußten unseren Protest laut werden lassen.

Warum verhält sich die Mittelschicht bisher so passiv?

Die Leute haben Angst, sie wollen keine Revolution. Wir wollen nicht, daß sich Ereignisse wiederholen, wie vor 30 Jahren, als 500.000 Menschen starben, nachdem Suharto an die Macht kam.

Wir wollen einen allmählichen Wandel. Als Suharto antrat, hatten wir noch natürliche Ressourcen. Jetzt sind die Wälder geplündert, viel Öl wurde exportiert. Die Indonesier bekamen dafür nicht genug.

Aber gerade die Mittelschicht, Leute wie Sie, haben doch von der Regierung Suharto profitiert?

Wenn er letztes Jahr zurückgetreten wäre, hätten ihn viele in guter Erinnerung behalten. In seiner Zeit ist ja etwas geschaffen worden. Aber in den letzten Monaten wurde alles zunichte gemacht. Der Preis war zu hoch: Wir sind moralisch degeneriert, haben uns an Korruption und Vetternwirtschaft gewöhnt. Nun haben wir nicht mehr genug Reis, das Land geht kaputt. Das Ende der Suharto-Zeit ist wie ein Schwarzes Loch im Universum – das System verschluckt sich selbst. Interview: Jutta Lietsch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen