: Der Dialog des Mediators
Wilhelmsburg: Ein Vermittler soll den Streit um die Deichverlegung beilegen ■ Von Achim Fischer
Gerhard Albert ist der Mediator. In Hamburg erwartet ihn seine bislang größte Herausforderung: Er soll eine Entscheidung des Voscherau wieder gutmachen. Er will die Anliegen von Umweltschützern ernst nehmen, Streit schlichten und konstruktive Lösungen suchen. Kurz: Im Konflikt um eine Deichverlegung, die der Voscherau ohne Rücksicht auf Natur-Verluste abgelehnt hat, vermittelt nun der Mediator. Ab dieser Woche. In Wilhelmsburg.
Was bisher geschah: Stadt Hamburg an der Elbe Auen. Wir schreiben das Jahr 1993. Auf 26 Seiten präsentierte die Baubehörde in Hochglanz ihr Konzept des „umweltverträglichen Hochwasserschutzes“. Die Elbdeiche sollten erhöht werden. Höher heißt auch breiter, etwa fünf bis acht Meter. 56 Hektar Deichvorland, so kalkulierte die Behörde, gingen dadurch verloren. Und sollten an anderer Stelle durch Deichrückverlegungen ausgeglichen werden. Schließlich, so hieß es zwischen den Hochglanz-Bildern, sei „das Deichvorland mit seinen Süßwasserwatten und seiner besonderen Fauna und Flora einzigartig und an keiner Stelle zu ersetzen“. Neun Projekte mit zusammen 59 Hektar Ausgleichsfläche sollten es werden, versprach der Betonsenator Eugen Wagner.
Ergebnis: Die zwei kleinsten Projekte mit 3,2 Hektar sind realisiert, sechs Vorhaben hat der Senat abgesagt, zuletzt die Rückverlegung am „Spadenländer Busch“im Osten Wilhelmsburgs. Der damalige Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) war im Juni vorigen Jahres „inhaltlich zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich um eine ökologisch wünschenswerte und für Wilhelmsburg zugleich hoch attraktive Maßnahme handelt“. Allerdings sei er „nicht bereit, in Angelegenheiten des Hochwasserschutzes irgendeine – noch so positive – Entscheidung gegen nennenswerten Widerstand in der Wilhelmsburger Bevölkerung durchzupauken“. Er sagte das Projekt ab.
Neun Monate später. Der Voscherau ist wieder Notar. Der Betonsenator ist zwar immer noch an der Macht, kann aber nur mit grüner Hilfe regieren. Und sieht sich darum gezwungen, dem Mediator Zutritt zum Insel-Territorium zu gewähren. Er wolle „einen Dialog zwischen den Befürwortern und Gegnern der Deichrückverlegung herstellen“, bereitete der Mediator unter seinem bürgerlichen Namen Gerhard Albert die Insulaner auf neue Zeiten vor. Es gelte, „Konflikte herauszuarbeiten, die unterschiedlichen Argumente zu diskutieren, in der Sache aufzuklären und mit den Beteiligten Lösungsmöglichkeiten auszuloten“.
Den vehementesten Widerstand leisten Landwirte und vor allem die Anwohner der Deiche. „Wir sind ein Versaufloch“, bekamen Umweltschützer und Deichexperten der Baubehörde vergangenes Jahr vor Ort zu hören. Die Angst vor dem Wasser sitzt tief, seit der Sturmflut-Katastrophe von 1962. Die neuen Deiche bräuchten 20 Jahre, um stabil zu werden, wurden bei einer Diskussion in Wilhelmsburg Zweifel laut. Der Deich setzt sich in zwei bis drei Jahren, gab Deichexperte Peter Möller zurück. Bis dahin bleibe der alte Deich stehen. Neuer Einwand: Auf der breiteren Wasseroberfläche entstünden höhere Wellen. Auch das, versuchte Möller zu beruhigen, sei einge-plant. Die Deiche würden dort zusätzlich erhöht. Die Strömung wird sich ändern, prophezeite ein dritter Anwohner. Möller: „Ist bereits berücksichtigt.“Sein Fazit: „Der rückverlegte Deich bietet eher noch etwas mehr Sicherheit als bisher, weil das breitere Vorland und Reste des heutigen Deiches einen zusätzlichen Schutz darstellen.“Es half nichts. Die Gegner des Vorhabens blieben an diesem Abend lauter.
„Ich nehme diese Ängste ernst“, sagt Mediator Gerhard Albert. In Hintergrundgesprächen will er sich über die Positionen und Argumente der Beteiligten informieren: „Die Leute sollen überhaupt erst einmal miteinander ins Gespräch kommen.“Etwa an einem runden Tisch. Nach Möglichkeit ohne Gebrüll. Die verschiedenen Gruppen legen ihre jeweilige Liste an Kritikpunkten vor, gewichten ihre Einwände, setzen sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinander und erarbeiten denkbare Kompromisse. Albert will kommunizieren, nicht polarisieren, will Ängsten Aufklärung entgegensetzen.
So stellt er sich das vor, der Mediator. Im Jahr 1 nach Voscherau.
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