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Propaganda auf dem Silbertablett

Böse Plakate zeigen böse Buben. Der Künstler Thomas Ruff arbeitet sich an der politischen Kultur Deutschlands ab  ■ Von Brigitte Werneburg

Schlicht „Plakat“ heißt die neue Werkgruppe, die Thomas Ruff derzeit in einer Berliner Galerie ausstellt. Der Künstler mit dem nüchternen protokollierenden Blick, der seine abfotografierte Welt stets durch ein Entwicklerbad der Neutralität und des Desengagements („Fotografie lügt“) gezogen zu haben schien, versucht sich offensichtlich in der postmodernen Nachfolge von John Heartfield. Das überrascht.

Seine bösen Plakate zeigen böse Buben: Fleischesser und den chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng, den Kunstsäuberer und Schwulenfresser Jesse Helms, Abschiebeminister Manfred Kanther und „Bundeskanzler Helmut Kohl zieht in die neue Hauptstadt“. Die wird ihm als stalinistische Idealstadt, als Modell eines neuen Moskau auf dem Tablett gereicht, während am Himmel blasse Schemen der Baustelle am Potsdamer Platz vorbeiwehen. Den Untergrund zum Aussitzen der Sache hat der Kanzler allerdings längst verloren, und so driftet er kopflos kopfüber durchs Bild.

Will Thomas Ruff Herbert Achternbusch zu Hilfe kommen? Der spaziert in seinem neuesten Film als Hick herum und trägt ein Transparent, auf dem „Hilfe! Hilfe!“ zu lesen steht und „Wer befreit mich von Helmut Kohl? Das Volk kann es nicht. Die Regierung kann es nicht. Er selbst kann es nicht. Als des Führers letzter Hund hetzt er durch Europa“.

Doch sowenig Achternbuschs grobe Worte „Neue Freiheit – keine Jobs“ zum Agitationsfilm machen, sowenig machen die visuellen Versatzstücke aus Politik und Propaganda, die Ruff mit Hilfe des Computers zu riesigen Plakaten gesampelt hat, diese zur Politkunst. Nicht anders als Achternbusch geht es Ruff – das macht schon die ebenso paradoxe wie edle Rahmung der Plakate deutlich – zuerst um Kunst.

Und doch. Erinnert man sich noch an Christoph Schlingensiefs „Tötet Kohl“-Auftritt auf der documenta X, der ebenfalls in die Kategorie primär künstlerischer Erregung gehörte, stellt sich die Frage, ob es die kommenden Wahlen sind, die Helmut Kohl zum bevorzugten Material der Kunst machen. Reagiert die deutsche Gegenwartskunst womöglich auf eine gesellschaftliche Umbruchstimmung? Sind Thomas Ruffs Plakatarbeiten nicht nur neue Arbeiten, sind sie gar New Labour?

Es mag die oppositionelle politische Stimmung sein, die auch in der Niedersachsenwahl deutlich wurde, die Ruffs Plakatarbeit plötzlich in einem viel grundsätzlicheren Sinne trägt, als es der künstlerische Kontext allein tut. Eine Stimmung, die sein „Plakat“-Werk von der nur kritischen Kunst – wie es die etwas angestrengte Aufklärung seiner „Anderen Porträts“ mit Fotoüberblendungen anhand alter Polizeimethoden auf der Biennale 1995 war – doch noch zur politischen Arbeit adelt.

Genau betrachtet kommen die neuen Montagen gar nicht so überraschend, wie sie scheinen. Seit fast zwanzig Jahren beschäftigt sich Ruff mit journalistischer Fotografie, die er aus Zeitungen ausschneidet und sammelt. 1991 hängte er einige Fotos, die er von ihrer Bildunterschrift befreite, in doppelter Größe und gerahmt in lockerer Folge an die Wand des Bonner Kunstvereins. Für seine neue Serie mußte er diese Bruchstücke eigentlich nur noch im Plakat zusammenführen, das schon immer sein Maß aller Dinge war. Auch seine frühen Porträtfotografien erreichten dieses nur aus der Werbung bekannte, enorme Bildformat. Damals allerdings, angesprochen auf die Paradoxie des monumentalen Ästhetizismus solcher privater Bildnisse, meinte er, seine Freunde seien ihm wichtiger als „irgendwelche Präsidenten“.

Das hat sich nun geändert, und wenn er das Formempfinden wieder mit Inhalten füllen wollte, wovon er gleichfalls sprach, dann scheint die Plakatserie die bislang größtmögliche Annäherung von Form und Inhalt. Einfach weil die Paradoxie von privatem Bild und öffentlichem Format weggefallen ist.

Bleibt nur noch die Paradoxie der kleinen Auflage, des edlen Rahmens, der malerischen Schönheit und der technischen Sorgfalt, mit der Ruff die Montagen am Computer zusammenbaut. Und die Paradoxie der Schrift. Sie ist der Schlüssel zu Thomas Ruffs Plakat-Konzept. Auf den ersten Blick erinnert die Beschriftung an kyrillische beziehungsweise chinesische Schriftzeichen und weckt direkte Assoziationen an den Agitprop des Sozialismus. Gleichzeitig verweigert sie sich durch ihre Unleserlichkeit der Propagandafunktion des Plakats. Auf den zweiten Blick gibt sich ihr fremder Charakter jedoch als Täuschung zu erkennen. Die verdrehten und gespiegelten lateinischen Buchstaben und Versalien sagen dann, daß der gutgelaunte Manfred Kanther, der im Anzug von Herrn Tschou En-lai mit drei jungen Chinesinnen um die Wette strahlt, „Innenminister Kanther bei der Ausweisung von illegal nach Deutschland eingereisten Jugendlichen“ ist. Über ihm formen die Kondensstreifen der Düsenjäger kleine „Tschüüss“- Wölkchen, während die „ostdeutschen Plattenbauten“ (in Wirklichkeit Siedlungen aus dem Rheinland) mit den Transparenten „Aufnimmerwiedersehen“ als Selbstzitat Ruffs früherer Architekturserien erscheinen.

Thomas Ruff verfügt zweifellos über ein profundes Wissen um die Montage der 30er Jahre. Gerade Heartfield stellte ähnlich schöne und ausgesprochen malerische Montagen her (wodurch sich mancher Kunsthistoriker legitimiert sah, sie nur noch unter formalen Gesichtspunkten zu betrachten.) Und wenn die Aussagen der Plakate manchem zu plakativ erscheinen – eigentlich ist nur „Eßt mehr Fleisch“ mit mumifizierten Gliedmaßen, Schlachthofszenen und elenden Lagerinsassen hinter Stacheldraht der eher peinliche Flop – dann gibt nicht das so sehr zu denken. Es ist viel mehr der Eindruck, daß Ruff sich eher an Personen als an der Politik abarbeitet. Genau damit trifft er sich aber mit Heartfield und der politischen Montage der Weimarer Republik. Die Zeiten sind möglicherweise schlechter, als man denkt.

Thomas Ruff: „Fuck Contemporary Art“, bis 21. März, Contemporary Fine Arts, Berlin

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