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Gewehre zum letzten Geleit

Unter der Bewachung von serbischen Scharfschützen beerdigen Kosovo-Albaner die Opfer der Massaker. Angst und Unterdrückung bestimmen den Alltag  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

An der Grabstelle am Fuße eines Hügels in der Nähe des Dorfes Prekaz versuchen die albanischen Männer das Erdreich, das erst in der Nacht zuvor von Serben auf die Särge geworfen wurde, wieder wegzuschaufeln. In eisiger Kälte arbeiten sie sich an die Särge heran. Von den Hügeln aus beobachten serbische Anti-Terror-Einheiten das Geschehen. Hinter Sandsäcken verschanzt, richten sie ihre Maschinengewehre auf die Menschen an den Gräbern.

Ein Sarg nach dem anderen wird aus dem Erdreich gehoben. Dann werden die Särge geöffnet, und Nachbarn, Freunde und einige wenige Angehörige versuchen die Leichen zu identifizieren. Erschüttert sind die Anwesenden, von dem zerschmetterten Schädel einer Frau, den zum Schrei aufgerissenen Mündern der Kinder und den verunstalteten Gesichtern der Männer. Dennoch geht die Identifizierung ruhig vor sich. Insgesamt 52 Särge werden geöffnet, um herauszufinden, wer die 14 Kinder, die 16 Frauen, die 7 alten Menschen und die Männer sind, die von den serbischen Behörden am Abend zuvor, um 18 Uhr, hier abgeladen worden sind. Dann werden die Leichen wieder in die Särge zurückgelegt, wird das Erdreich wieder über sie geworfen, werden die Gräber mit den Namen markiert.

Angesichts der drohend anrückenden serbischen Mannschaftswagen steht Angst in allen Gesichtern. Entwürdigender kann keine Begräbnisfeier sein. Unter den Augen der serbischen Scharfschützen tröpfeln zwar immer weitere Gruppen von Menschen ein, schon am frühen Nachmittag sind es Hunderte. Tausende jedoch warten in der Nähe ab, sie trauen sich noch nicht, weiterzugehen, wollen erst Nachrichten von Zurückkehrenden abwarten. Die Anwesenheit der serbischen Truppen garantiert, daß es nicht mehr zu einer Massendemonstration bei den Begräbnisfeierlichkeiten kommen kann.

Auch die meisten Angehörigen haben zu große Angst, um hierherzukommen; nach der fast vollständigen Ausrottung der Familie Jashari – allein 22 Mitglieder der Familie sind unter den Toten – zögern sie. „Sie haben Angst, dann bedroht zu werden“, erklärt Safet, ein Student aus Priština. „Die Serben sind schon immer gegen ganze Famlien vorgegangen, wenn eines ihrer Mitglieder auf der schwarzen Liste stand.“

Zwischen den Führungen beider Seiten war vereinbart worden, daß die Albaner 24 Stunden Zeit hätten, die Identifizierung vorzunehmen. Nicht erlaubt war es den Trauernden, die Toten mit religiösen Riten zu bestatten. Eine internationale Ärztekommission zur forensischen Untersuchung der Leichen war nicht gekommen, sie soll bedroht worden sein. Wenn überhaupt, dann werden die Todesursachen erst später wissenschaftlich festgestellt werden können.

Ein Blick auf die Umgebung jedoch genügt, um zu wissen, wie der „Kampf gegen den Terrorismus“ ausgetragen wurde. Denn kaum 200 Meter von der Grabstelle entfernt liegen die zerstörten Gebäude der Familie Jashari. Am Donnerstag vergangener Woche waren sie erschossen worden, dann waren die Spezialtruppen vorgedrungen und hatten alle getötet, die sich in den Gebäuden befanden – Kinder, Frauen, Männer.

„Mit ihrer Machtdemonstration wollen sie uns zeigen, daß sie die Herren sind“, sagte ein junger Mann aus der nahe gelegenen Kleinstadt Skenderaj (Srbica). „Lange“, so sagt Benim, „werden wir dies nicht mehr hinnehmen. Aber was willst du machen, wir haben keine Waffen.“ Er wird von Umstehenden unterbrochen. „Wir wollen jetzt trauern“, sagte ein älterer Mann, „und nicht über Politik sprechen.“ Doch andere protestieren. „Sie können zwei Millionen Albaner umbringen, aber auch noch der letzte wird für Kosovo kämpfen“, erklärte ein anderer.

Die vorher geschlossenen Hauptstraßen nach Drenica werden für den Verkehr geöffnet. Allerdings werden die Insassen aller Autos und Busse an den zahlreichen Kontrollstellen untersucht. Angstvolle Gesichter ducken sich hinter die Sitze, als die serbischen Polizisten zur Kontrolle in den Bus steigen. In den letzten Tagen sind immer wieder Zwischenfälle bekanntgeworden, Insassen wurden geschlagen, manche erheblich verletzt. Die Repression bleibt, auch wenn die „Strafaktionen“ der Sondereinheiten der Polizei offenbar vorläufig gestoppt sind.

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