: Die Angst kommt danach
■ taz-Serie Grenzgänger, Teil 6: Rolf Zabel über Macht und Ohnmacht, Geduld und Langeweile eines Drogenfahnders Von Heike Haarhoff
„Wissen Sie, ich habe im Laufe der Jahre gelernt, mir Zeit für wichtige Dinge zu nehmen.“ Rolf Zabel lehnt sich in seinen schwarzen Büro-Ledersessel zurück und stopft sich erstmal sein Pfeifchen, bevor er weiter redet. „Wer in der Rauschgiftkriminalität einen Fall erfolgreich aufklären will, braucht einfach Geduld“, weiß der 61jährige – heute Leiter der Hamburger Zollfahndung – nach 35 Dienstjahren als Bundesbeamter bei der Oberfinanzdirektion Hamburg. „Die meisten haben ja eine ganz falsche Vorstellung von unserem Job. Die denken, wir sind ständig in Aktion, mit gezogenen Pistolen und Schäferhunden irgendwelchen dubiosen Dealern auf den Fersen. Das ist ein Trugschluß.“ Rolf Zabel hat die meiste Zeit vom Schreibtisch aus gefahndet.
„Das ist mühselig. Man bekommt oft nur einen Hinweis, daß demnächst Stoff über die Grenze nach Hamburg geschmuggelt werden soll.“ Wieviel, wann, was, wer: Fragen über Fragen. Rolf Zabel beginnt seine Recherche: Über V-Männer wird der Kontakt zu den Händlern hergestellt. Klappt leider nicht immer. Telefon-Abhörung, endlose Protokolle, Gespräche mit den Kollegen im Ausland, Aktenvermerke. „Das ist nervenaufreibend. Das Schlimmste ist, wenn man oft monatelang da sitzt und nichts passiert.“
Doch dann geht es plötzlich oft ganz schnell, und Rolf Zabel sitzt nicht mehr so entspannt im Sessel. „Sie kriegen einen Anruf, paß auf, die Händler sind unterwegs, wir haben Scheinkäufer organisiert. Treffpunkt ist im Hotel.“ Rolf Zabel stürzt aus dem Büro. „Im letzten Moment haben sich die Rauschgiftschmuggler für ein anderes Hotel entschieden. Die hatten wahrscheinlich schon gewittert, daß wir ihnen auf seiner Fährte sind.“ Blitzschnell muß Rolf Zabel umorganisieren, damit der geplante Übergriff nicht scheitert. „Den Tätern darf ja nicht auffallen, daß sie von uns überwacht werden.“ Der Fahnder hat eine pfiffige Idee: Einen Kollegen steckt er flugs in ein Livree und läßt ihn bis zur Ankunft der Heroin-Dealer im Hotel Staub saugen. Er selbst verschwindet mit einem Kollegen in einem Doppelzimmer, das direkt neben dem der Schmuggler liegt. Die Scheinkäufer sind auch schon da. Sobald Rolf Zabel aus dem Nebenzimmer Geräusche hört, gibt er das Einsatzkommando: „Übergriff.“
Doch bis dahin sind einige zähe Minuten zu überbrücken. „Wir haben in dem Zimmer gewartet, den Fernseher angemacht, aber fragen Sie mich nicht, was da lief.“ Rolf Zabel hat aus dem Fenster geguckt „und doch nichts wahrgenommen“. Was denkt man in einer solchen Situation? „Gar nichts. Das sind Abläufe, bei denen man nicht überlegt. Das ist wie bei einer Vollbremsung: Man reagiert einfach, und erst hinterher kommt man ins Schwitzen.“
Daß er „eigentlich ziemlich häufig in Gefahr“ war, ist Rolf Zabel erst so richtig bewußt geworden, als er nach zweijähriger Tätigkeit bei der Rauschgiftfahndung 1974 zur Abteilung „Wirtschaftskriminalitäts-Bekämpfung“ wechselte. „Das entspricht mir viel mehr. Ich wollte ursprünglich Betriebsprüfer werden, aber dann bot sich der Job bei der Fahndung an, und so bin ich da reingerutscht.“
Seine Arbeit – fast immer verbunden mit Täuschungsmanövern, Heimlichkeiten, Bedrohung und oft am Rande der Legalität – hat seiner Familie viel abverlangt. „Ich konnte morgens nie mit Bestimmtheit sagen, wann ich wieder da bin. Wenn ich um 18 Uhr einen Täter schnappe, kann ich ja nicht sagen, ich muß zum Essen nach Hause und nehme dich lieber morgen fest.“ Seine Frau weihte Rolf Zabel nie in seine Aktivitäten ein: „Ich weiß auch nicht, warum ich nie mit ihr darüber geredet habe.“ Und dann rappelt es eben in der Beziehungskiste.
Rolf Zabel gab das Handballspielen auf, Theaterbesuche gerieten zu außergewöhnlichen Ereignissen. Einzig seine beiden Töchter, damals zehn und zwölf Jahre alt, „fanden es spitze, wenn ich mit dem Blaulicht zu einem Einsatz abgeholt wurde.“
Daß er eigentlich „total gestreßt war“, gestand sich Rolf Zabel erst ein, als ihn mit Mitte 40 einen Herzinfarkt bremste. Danach stellte er seinen Lebensrhythmus um, gönnte sich ein wenig Ruhe.
Und trotzdem: „Zu dem Job gehört ein gewisser Jagdtrieb, den ich nicht so schnell abstellen konnte.“ Vor Kollegen sei es heute noch schwierig, den Streß zuzugeben: „Da wird einiges verdrängt.“
Sorgen, daß von ihm geschnappte Dealer nach Absitzen ihrer Haft ihm selbst einmal auflauern könnten, um Rache zu üben, hatte Rolf Zabel nie. Auf dem Magen schlug ihn vielmehr das Wissen um die eigene Macht: „Beim Abendessen ist mir oft der Gedanke gekommen, Mensch, ich sitze hier, und der Dealer, der eigentlich nur ein ganz kleiner Ganove ist, sitzt wegen mir im Knast.“
Daß er auf der richtigen Seite steht, hat er trotzdem nie angezweifelt: „Wir haben schließlich eine bestimmte Rechtsordnung.“ Nur: „Es besteht immer die Gefahr, daß man ein eigenes Rechtsdenken entwickelt. Man meint sich mehr rausnehmen zu können als andere, weil man das Recht auf seiner Seite zu haben glaubt.“
Teil 7: Gerhard Hoffmann und sein „Hilfswerk Haiti“: Zwischen Außenseitertum und „Going Native“, Dienstag, 15. August
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