: Kunst als Menschheits-Gedächtnis
■ Über Allegorien und Bibliotheken: An den faszinierenden Gelehrten Aby Warburg führt eine in Hamburg erschienene Aufsatzsammlung heran
Der Mann ist ein Medium: Die Wirkungen von Aby Warburg (1866–1929) gehen weit über sein eigentliches Lebenswerk hinaus. Noch immer sind die Originaltexte des Hamburger Kulturforschers schwer zugänglich, aber Schriften in seinem Geiste sind Legion, ist doch die Warburg-Schule international eine der zentralen Säulen der Kunstgeschichte geworden. Ekstatische Nymphe . . . trauernder Flußgott, mit diesem Untertitel zwischen Manie und Depression führt ein neues Buch an den faszinierenden Gelehrten Aby Warburg heran.
Es versammelt und ergänzt die Vorträge zu den letztjährigen Hamburger Aby-Warburg-Wochen, mit denen Warburgs „Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde“ im Hamburger Planetarium wieder zugänglich gemacht worden war. Dazu wurden im Kunsthaus die Tafeln aus dem unvollendeten Bildatlas Mnemosyne gezeigt, was nicht nur Warburgs unorthodoxe Methoden vorführte, sondern auch die Breite von Warburgs Denken veranschaulichte, in das die Autoren dieses Bandes vertiefend einführen.
Für Warburg ist Kunst das Gedächtnis der Menschheit. Zwar nicht der Erfinder der Ikonologie, aber einer der erfolgreichsten Durchsetzer dieser Methode, spürte er den Bildzeichen grundlegenden menschlichen Ausdrucks nach. Er fand die antike Nymphe in christlichen Figuren der Renaissance und der modernen Werbung wieder, er konnte einzigartige italienische Allegorien des 15. Jahrhunderts mit dem Bezug auf persische Mythologie entschlüsseln.
In einem der Aufsätze des Buches mahnt Werner Hofmann für heutige museale Praxis diesen Warburgschen Umgang mit dem Material an, der immer einen Denkraum erstellte und keinen Andachtsraum erzwang. Warburgs Forschungen zu Mythos und Logos waren zu intensiv, als daß sie fetischhafte Verneigung vor dem Original zugelassen hätte, wie es manche große Publikumsausstellungen heute bewirken. Doch auch die einseitge Verherrlichung der Vernunft sah er kritisch. Deshalb war es ihm so wichtig, im neuen Planetarium dem aktuellen Bild der Sterne die je nach Kultur vielfach anderen Himmelsvorstellungen zur Seite zu stellen.
Von der menschlichen Seite Aby Warburgs berichtet beeindruckend der Hamburger Autor René Drommert, der ihn in seiner Jugend noch persönlich erlebte. Denn abgesehen von seinen Studien kann Aby Warburg, der von sich sagte, er sei „Jude von Geblüt, Hamburger von Herzen und im Geiste Florentiner“, schon durch seine Biographie faszinieren. Geprägt wurde er von der trockenen, gleichwohl geliebten Handelsstadt Hamburg mit seinen Bankiersbrüdern, die ihn und seine Bibliothek finanzierten – ein Hamburg, daß sich, wie Georg Syamken darstellt, in vielem von heute unterschied.
Warburg arbeitete lange in Florenz, der Stadt, die aus bürgerlichem Kaufmannsgeist eine rationale, die Antike wiederbelebende Kultur erblühen ließ. Und er besuchte die Pueblo-Indianer in New Mexiko, nahm an deren Schlangentanz teil und meinte dort den ekstatischen Anteil der Antike wiederzufinden.
In der Anspannung des Erfassens der gesamten Kultur versagten schließlich seine Kräfte: Sechs Jahre mußte er sich in ein Schweizer Sanatorium zurückziehen. Aspekte jener Zeit, in Fachbiographien ungern erwähnt, beschreibt im vorliegenden Band der Psychiater Karl Königseder. Warburg, der hinter der Vielfalt der Erscheinungen immer auf der Suche nach den grundlegenden Werten war, hatte sich in den endlosen Gängen der imaginären Universalbibliothek verloren.
Doch Warburgs Leben ist nicht die Geschichte des Scheiterns: Vor seinem Tode konnte er in wiedergewonnener Gesundheit seine Forschungen fortführen und den Neubau der Bibliothek einweihen. Seinen Ruhm begründen dann nach 1945 seine Schüler und Kenner als Professoren an wichtigen Universitäten und die Reihe der Direktoren des Londoner Instituts von Fritz Saxl über Sir Ernst Gombrich zu Nicholas Mann (von beiden letzteren ebenfalls ein Aufsatz im besprochenen Buch). In Hamburg ist es vor allem dem Einsatz von Martin Warnke zu verdanken, daß die Stadt auch außerhalb enger Fachkreise seinem großen Denker inzwischen wieder die Ehre erweist. Die „Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg“ (KBW) in der Heilwigstraße, Ort eines in den 20er Jahren herausragenden Gelehrtenkreises, ist seit März dieses Jahres mit Senatsgeldern und Stiftungshilfe nach 60jähriger Entfremdung wieder ein Denkort geworden. Hajo Schiff
Robert Galitz und Brita Reimers: Aby M. Warburg – Ekstatische Nymphe . . . trauernder Flußgott, Portrait eines Gelehrten; Dölling und Galitz Verlag, 264 Seiten, 80 Abb., 48 Mark.
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