: Das Ende, das Schweigen
■ KX: Heute eröffnet der „Argonautengang“ nach Heiner Müller
„Wenn die Diskotheken verlassen und die Akademien verödet sind, wird das Schweigen des Theaters wieder gehört werden, das der Grund seiner Sprache ist“, prophezeit der Dramatiker Heiner Müller. Und so könnte es von der heutigen Premiere um 18 Uhr in KX auf Kampnagel an geschehen: Müllers Text Verkommenes Ufer Me-deamaterial Landschaft mit Argonauten kann man beim Multimedia-Projekt Der Argonautengang in gänzlicher Stille rezipieren. Auf einem weißen Tuch agieren vier Mitglieder des „Visuellen Theaters Hamburg“ in Gebärdensprache. Neben Müllerschen Pathosformeln interpretieren die Gehörlosen noch einen tonlosen Kanon und zitieren gestisch Hans-Albers-Songzeilen.
Und ansonsten haben die Hamburger bildenden Künstlerinnen Sabine Mohr und Stefanie Weiss und der Theatermann Wolfgang Feindt ein „Ausstellungsstück“ in zehn Stationen erstellt. Das Gemeinschaftsprojekt, ein Passagenwerk zwischen den Künsten von Malerei bis Tanz, ist eine Art Geisterbahn ferner Erinnerungen an die Eroberung der Frau, der Natur und der Fremde, an Raub und Opfer, Verrat und Mord.
Keine Frage: Ernst geht's zu. Im Eingang bietet das weiß überzogene Kachelmuster ein großes Kreuzworträtselfeld für einzelne Buchstaben: Die Geschichte findet ihre Chiffren. Im ersten Raum finden sich die Buchstaben zu Wortfahnen mit den fernen, mythischen Namen Medea, Jason, Prometheus, Odysseus: Die Geschichte findet ihre Namen. Ein schwarzfoliger Mythoswald, Dich Mensch, der Du wagest einzudringen verschlingend, besetzt für immer das Labyrinth Deines Hirns. Nicht hilft Dir der Adriadnefaden, der wächserne Fries (durchgehend im nächsten Raum, gestaltet von Stefanie Weiss). Sieh, dort ewig verstrickt tanzt das Paar, in Gängen gefangen und der Macht anzüglicher Worte (Angela Guerreiro und Thomas Jantzen; „kann auch in einer Peep- Show gespielt werden“, so Müller).
Weiter, oh Freund. Trügerisch glänzt der Saal der Spiegel: Metallschimmernde Vorwürfe schleudert die einstige Göttin nicht achtend den nichtachtenden Jason (Stimme vom Band, Metallarbeiten Sabine Mohr). Medea sich heiligend in ehernem Gewande, wortgewaltige Rede tempelnd am kupfernen Nabel der Welt (die Geschichte findet im nächsten Raum ihren Höhepunkt im zentralen Monolog, vorgetragen von Antonie Boegner). Und dann, das Ende, das Schweigen. Nicht mehr in beredten Worten beschworen, sondern gestisch neu bedeutet. Was bleibt da vor dem Ausgang aus düsterem Ernst in sengende Sonne? Ganz einfach: Büchertisch oder Bier.
Hajo Schiff
KX-Kunst auf Kampnagel, Premiere heute, 18 Uhr, bis 20. August
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