: Demo findet ihr Ziel anderswo
■ 4.000 Menschen protestieren trotz örtlicher Widerstände gegen die rechte Gewalt in Saalfeld
Saalfeld (taz) – Die mittelalterliche Altstadt des thüringischen Saalfeld – einer regionalen Hochburg rechter Gewalt – ist am Samstag mittag wie ausgestorben. Die Befestigungsanlagen der steinernen Stadttore haben ihre Funktion erfüllt: Kaum jemand kann die dort postierten Polizeikontrollen des Altstadtrings passieren. Am Marktplatz, wo ein antirassistischer Aktionstag von Bündnisgrünen, PDS, Gewerkschaften und antifaschistischen Gruppen ein fröhliches Fest auf die Beine stellen wollte, verlieren sich drei Stände und zwei nutzlose Suppenküchen.
„Infostände aus ganz Thüringen gegen die die rechte Mobilisierung in der Region hatten wir geplant, ein multikulturelles Theater, eine Podiumsdiskussion mit Michel Friedman vom Zentralrat der Juden,“ sagt resigniert Norbert Schneider von den Saalfelder Bündnisgrünen, der einsam auf dem Marktplatz friert, „aber die Stadtverwaltung hat uns klargemacht, daß sie einen großen antirassistischen Tag nicht gestattet“.
Bis zur letzten Minute hatten sich die Honoratioren der Stadt bemüht, den Aktionstag in ihrem Ort zu verhindern – die Innenstadt wurde für politische Äußerungen quasi gesperrt, die angemeldete Demonstration mit schweren Auflagen belegt, LehrerInnen sammelten in ihren Schulen Unterschriften gegen eine Demonstration. Wegen einer kurzfristig angemeldeten Demonstration der NPD befürchtete die Stadt gewaltsame Zusammenstöße. Solche Schlagzeilen will in Saalfeld niemand, nicht die Stadtverwaltung, nicht die regionale Presse – auch nicht der thüringische Innenminister Richard Dewes (SPD), der sich vor Ort eingefunden hatte.
Dennoch – fast unfreiwillig fand die linke Demonstration an diesem Tag noch ihr Ziel. „Nur außerhalb der Stadt demonstrieren, 50 Meter lange Blöcke bilden – mit diesen Auflagen können wir keine Demonstration durchführen. Die Nazis dürfen demonstrieren, wo wir laufen wollten“, hatte eine der VeranstalterInnen, die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach, noch am Morgen verzweifelt verkündet. Während die NPD-Demonstration, etwa 300 Neonazis, an der Altstadt vorbeizog, marschierten die AntifaschistInnen in den Vorort Gondorf. Dort angekommen erwartete die etwa 4.000 GewerkschafterInnen, AktivistInnen kirchlicher Gruppen, linken PolitikerInnen und Autonomen ein feindseliger Empfang. Auf den Wiesen vor den Plattenbauten hatten sich die Rechten versammelt, ihre Demonstration war bereits zu Ende. Vor dem Jugendclub der Diakonie lungerten kurzgeschorene Jugendliche. Schon im Oktober war der Club Ziel einer antifaschistischen Demonstration gewesen, in einem umstrittenen Polizeieinsatz war diese Kundgebung verhindert worden. „Sollen die erst mal arbeiten gehen“, schimpft ein Mann am Straßenrand. „Die sollen unsere Jungs in Ruhe lassen“, fügt ein Nachbarin an.
Die „national befreite Zone“, ein Schlagwort der Neonazis, scheint dort fast Realität. „Wir geben keine Auskunft“ bekundet ein Jungrechter vor dem Jugendclub, „das muß unser Pressesprecher machen – der Pressesprecher des thüringischen Heimatschutzes“. Auch eine Sozialarbeiterin aus Gondorf gibt unfreiwillig zu: Der Club ist entgegen anderer Annahmen noch in Hand von Neonazis.
In Gondorf flogen Flaschen und Steine aus der Demonstration auf die Polizei, die die Situation aber im Griff behielt. Sonst ist alles friedlich verlaufen. Dennoch kein Erfolg für den Innenminister. Bodo Ramelow, Landesvorsitzender Gewerkschaft HBV, führt die Demonstration mit einem Plakat an: „Lieber Richard,“ steht darauf, „ich bin der schwarze Block“. Der Erstunterzeichner der Erfurter Erklärung ist sauer – sieben Busse wurden noch auf der Anfahrt aufgehalten, 150 DemonstrantInnen in Gewahrsam genommen, er selbst wurde zweimal auf Waffen durchsucht. „Ein Unding für das Recht auf freie Meinungsäußerung“, schimpft Ramelow, „ich geb' dem Dewes seine Unterschrift auf der Erfurter Erklärung zurück“. Barbara Junge
Kommentar Seite 12
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