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Protonenpudding im Teilchenkarussell

■ Hamburger Physiker wollen neuen Elementarteilchenbeschleuniger bauen Von Achim Fischer

In Hamburgs Untergrund soll es bald mächtig krachen. Die Wissenschaftler des Deutschen Elektronen-Synchroton Instituts (DESY) wollen in einem 33 Kilometer langen Tunnel den Urknall des Universums in Miniatur-Ausgabe wiederholen. Sie erhoffen sich davon neue Erkenntnisse über die kleinsten Bausteine unserer Welt, die Elementarteilchen. Gestern haben Vertreter der Hamburger und Schleswig-Holsteinischen Landesregierung einen Staatsvertrag unterzeichnet, im dem sie sich auf ein gemeinsames Genehmigungsverfahren einigen.

Hamburg zählt beim Erforschen der kleinsten Teilchen bereits zur Weltspitze – vor allem dank des DESY. Kernstück des Instituts ist HERA (Hadron-Elektron-Ring-Anlage) – ein ringförmiger Teilchenbeschleuniger, der in kein Labor mehr paßt. 6,3 Kilometer sind seine beiden Ringbahnen lang, auf die die Forscher Atompartikel – Elektronen und Protonen – schicken. Starke Magnete zwingen die Teilchen in die Karussellbahn und jagen sie so lange durch die Röhren, bis sie annähernd Lichtgeschwindigkeit erreichen.

Sinn und Zweck des langen Anlaufs: Je schneller die Teilchen werden, umso mehr Energie bekommen sie – und umso doller knallt es, wenn sie aufeinanderprallen. Den Elektronen passiert dabei wenig. Sie sind, nach heutigem Wissensstand, nicht weiter teilbar und können deshalb nicht zermatschen. Protonen sind dagegen wie ein schwabbeliger Pudding.

Das Ergebnis der Kollision läßt sich in jeder Küche verdeutlichen: Einfach mit der flachen Hand in eine große Schüssel Schokoladenpudding klatschen. Aus den Flecken an Wand und Buffett können Physiker – in HERA-Dimensionen – Bewegungsrichtung, Geschwindigkeit und, ganz wichtig, Zusammensetzung der entstandenen Flugobjekte errechnen. Mitten in der Wabbelmasse blieben die Bestandteile der Protonen dem Forscherblick bislang verborgen. Die Hamburger Pudding-Experimente sind in der internationalen Forschergemeinde äußerst beliebt. 2600 Wissenschaftler aus 35 Nationen sind an den Untersuchungen beteiligt. In Europa hat nur Genf mit dem CERN vergleichbare Möglichkeiten. Doch das Hamburger Institut will noch mehr. Gemeinsam mit Schleswig-Holstein wollen die Forscher die Teilchen in einer schnurgeraden Röhre aufeinanderjagen. Vorteil gegenüber HERA: In der Kurvenlage unter dem Volkspark verlieren die Teilchen Energie. Auf der Geraden können sie es richtig krachen lassen.

Die Forscher erwarten von dem Linearbeschleuniger ganz neue Untersuchungsmöglichkeiten: Für unvorstellbar kurze Zeit sollen sich die aufeinandergeschossenen, gleichgroßen Teilchen in Energie „auflösen“. Aus der Energie wiederum würden neue Teilchen entstehen. Im Vergleich zur Pudding-Matscherei am Küchentisch könnten die Physiker ein relativ wohlgeordnetes Durcheinander beobachten. Es wäre das Prinzip des – vermuteten – Urknalls unseres Universums.

Japaner und die USA wollen vergleichbare Mega-Beschleuniger bauen. Mehr als eine Anlage, das ist allen Beteiligten klar, wird auf der Erde jedoch nicht entstehen: Die Investitionskosten beziffert DESY mit „mehreren Milliarden Mark“. Finanziert, so die Hoffnung, zur Hälfte durch ausländische Forschungsbeteiligungen, den Rest soll überwiegend Bonn beisteuern. Die Bundesregierung will in etwa drei Jahren über die Realisierung entscheiden.

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