: Leichen im Keller der Grünen
Die hessischen Grünen stecken vor ihrem heutigen Wahlparteitag in einer Krise. Die Skandale um die „Vettern- und Cousinenwirtschaft“ in grünen Ministerien sind noch lange nicht ausgestanden ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Wiesbaden (taz) – Kleinlaut sind sie geworden, die führenden Köpfe der Bündnisgrünen in Hessen. Ihr Ansehen hat inzwischen auch in den eigenen Reihen gelitten. „Mißmanagement in der Krise“ wird den einst gefeierten Männern aus dem „Frankfurter Kreis“ nach dem Rücktritt der Ministerin für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit, Margarethe Nimsch, vorgeworfen. Auch wenn die Nachfolgerin für Nimsch, Priska Hinz (MdL), schnell gefunden und nominiert war, belastet der Skandal um die „Cousinenwirtschaft“ – und jetzt auch noch die „Vetternwirtschaft“ – das Verhältnis der Partei zur Grünen-Führung um Parteichef Tom Koenigs und Justizminister Rupert von Plottnitz.
„Es ist gelungen, der Partei mit minimalstem Aufwand größtmöglichen Schaden zuzufügen“, schrieb etwa der frühere Landesvorstandssprecher Reimer Hamann seinen „Parteifreunden“ ins Stammbuch. Die Macher in der Fraktion und die Menschen im Vorstand um Tom Koenigs hätten sich als „inhaltlich belanglos“ und als „strategische und taktische Nullnummern“ erwiesen. Schließlich habe der „Frankfurter Kreis“ 1995 sowohl das „Superministerium“ ausgehandelt als auch die Kandidatinnen für das Ministeramt nominiert und dann durchgesetzt. Dem Listenparteitag der hessischen Grünen heute in Butzbach liegt ein Antrag des Kreisverbandes Kassel vor, der darauf abzielt, eine parteiinterne Untersuchungskommission zu den Vorgängen einzurichten, die zum Rücktritt von Nimsch führten. Ausgerechnet auf diesem Parteitag will sich Tom Koenigs um den angeblich sicheren Platz sechs auf der Landesliste für den Bundestag bewerben.
Dafür, daß aus der etwa von Justizminister Rupert von Plottnitz als „temporär“ bezeichneten Krise um den Rücktritt von Nimsch eine latente wird, sorgt schon die Opposition im Landtag. Der „grüne Sumpf der Vettern- und Cousinenwirtschaft“, so die Union, müsse nämlich trockengelegt werden – und zwar täglich. Inzwischen liegt dem zuständigen Landtagsausschuß eine lange Liste der freihändig, das heißt ohne Ausschreibung vergebenen Aufträge aus dem Superministerium und aus dem ehemaligen Sozialministerium der grünen Ministerin Blaul vor, die an Firmen und Projekte vergeben wurden, die den Grünen nahestanden oder noch nahestehen. Haushaltsrechtlich zu beanstanden sind bislang nur zwei Druckaufträge aus der Ära Blaul, wie auch die CDU im Ausschuß einräumen mußte. Doch die, konterte der sozialpolitische Sprecher der Union, Gerald Weiß, seien „nur die Spitze eines Eisberges“. Da würden noch „Leichen im Keller“ liegen.
Eingeschossen hat sich die CDU auf zwei Unternehmen: auf die Betratungsfirma der früheren Kreisvorsitzenden der Grünen in Frankfurt, Regine Walch, und auf die Agentur Brovi-Konzepte. Die wurde zu Zeiten von Sozialministerin Iris Blaul von Jochen Vielhauer, früher Landtagsabgeordneter der Grünen, und von Broka Hermann, dem ehemaligen stellvertretenden Sprecher der Landtagsfraktion, gemeinsam betrieben. Allein an diese beiden Firmen seien Aufträge im Wert von knapp 1 Million Mark vergeben worden, wetterte die Union. Vielhauer und Hermann hätten sogar „überwiegend von Aufträgen des Ministeriums gelebt“.
Im Gegenzug bezichtigte Vielhauer den Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU, Jung, öffentlich vorsätzlich wider besseres Wissen den Eindruck erweckt zu haben, „daß hier etwas Illegales stattgefunden“ habe. Es sei zwar unbestritten, daß Brovi-Konzepte öffentliche Aufträge erhalten habe. Doch 30 bis 40 Prozent der Einnahmen aus diesen Aufträgen seien „Durchlaufkosten“ für andere Firmen gewesen. Was den Grad der Abhängigkeit seines Unternehmens in den Jahren 1991 und 1992 von Aufträgen aus dem Sozialministerium von Blaul anbelange, habe Jung (CDU) „unwahre Behauptungen in die Welt gesetzt“. Das habe den Ruf seiner Firma beschädigt, sagte Vielhauer der taz. Denn grundsätzlich sei es weder etwas Anrüchiges noch etwas Ungewöhnliches, wenn sich ein Unternehmen um öffentliche Aufträge bemühe: „Freies Unternehmertum und Existenzgründungen scheinen für die CDU offenbar nur unterstützenswert zu sein, wenn sie ihrer politischen Ausrichtung entsprechen.“
Die Union plakatiert in Hessen inzwischen ein grünes Männchen, dem die 100-Mark-Scheine aus den Hosentaschen hängen und das den Kopf in den Sand steckt: „Das ist die grüne Moral.“ Wahlkampfmunition für Union und FDP nicht nur in Hessen? Jetzt ist auch noch die grüne Heinrich-Böll-Stiftung „geoutet“ worden – als Auftragsnehmerin für die Vorbereitung und Durchführung einer Landesdrogenkonferenz für das Superministerium unter Nimsch.
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